Das Geheimnis Des Kalligraphen
Gahiz hielt es nicht länger als drei Tage am Hof des großenFörderers der Wissenschaft und Literatur, dem Kalifen al Ma´mun, Sohn des legendären Harun al Raschid, aus.
Ibn Muqla war erster Wesir – das entspricht dem heutigen Premierminister – bei drei Kalifen in Folge. Doch diese Nähe, die er immer wieder suchte, wurde ihm am Ende zum Verhängnis.
Ibn Muqla erkannte, dass die arabische Schrift nicht von göttlicher, sondern von menschlicher Hand war. Ihre Schönheit faszinierte ihn, aber er erkannte auch ihre Schwächen. Deshalb begann er früh mit Überlegungen, das Alphabet, die Quelle der Schrift, behutsam zu reformieren, er experimentierte, notierte und wartete auf einen geeigneten Augenblick. Bagdad war damals die Hauptstadt eines Weltreichs, das Zentrum der weltlichen und religiösen Macht des Islam.
Viele Schriftgelehrte und Übersetzer seiner Zeit bemängelten, dass Buchstaben fehlten, die sie für die Wiedergabe einiger Laute und Namen aus fremden Ländern und Sprachen brauchten. Diese Kritik machte Ibn Muqla Mut, seinen Weg weiterzugehen. Und nun brachte ihn seine Naturforschung auf die entscheidende Idee. Er wusste natürlich, dass die religiösen Fanatiker die arabische Schrift als heilig betrachteten, weil das Wort Gottes im Koran auf Arabisch niedergeschrieben war. Er wusste jedoch, dass die arabische Schrift schon mehrmals reformiert worden war.
Die radikalste Veränderung wurde, ebenfalls in Bagdad, fast hundert Jahre vor Ibn Muqlas Geburt eingeleitet. Bis dahin kannte die arabische Sprache keine Buchstaben mit Punkten, und da viele Buchstaben ähnlich waren, begleiteten Unsicherheiten, Missverständnisse und Fehlinterpretationen jeden Lesevorgang, selbst wenn Gelehrte vorlasen. Mit mehreren kleinen Reformen hatte man versucht, die Schrift zu verbessern, doch dann erfolgte die größte und radikalste Reform. Sie liegt nun ganze zwölf Jahrhunderte zurück.
Fünfzehn Buchstaben, also mehr als der Hälfte der Buchstaben des arabischen Alphabets, wurden Punkte hinzugefügt, und zwar über oder unter den Zeichen. Damit konnte man Lesefehler fast vollständig verhindern. Kalif Abdulmalik bin Marwan und sein blutrünstiger Gouverneur der Ostprovinz al Hagag erstickten damals alle konservativen Stimmen, die sich gegen jedwede Reform erhoben. Der Kalif ließden Koran mit der reformierten Schrift neu kopieren, und seitdem kann jeder Schüler die Wörter des heiligen Buches deutlich erkennen und fehlerfrei lesen.
Aber nicht nur die religiösen Texte gewannen an Klarheit. Auch die arabische Sprache der Poesie, der Wissenschaft und des Alltags gewann an Schärfe und Eindeutigkeit. Doch ohne die starke Hand des Kalifen wäre ein derartiger Schritt unmöglich gewesen.
Ibn Muqla wusste das. Und auch er brauchte den Rückhalt eines aufgeklärten weitsichtigen Kalifen, um die fällige große Reform der Schrift durchzusetzen.
Ibn Muqla liebte die Schrift wie ein eigenes Kind, er stellte alles in ihren Dienst und verlor am Ende alles.
War ihm daran gelegen, Macht zu erlangen, wie seine Feinde behaupteten, die hasserfüllt Berichte über Umsturzpläne in die Welt setzten und Seite um Seite mit fadenscheinigen Begründungen füllten?
Nein, Ibn Muqla hatte bereits alles erreicht, bevor er den radikalen Schritt für die Reform einleitete, der zu seinem Untergang führte.
Dem letzten Kalifen, al Radi Billah, diente er als Hauslehrer und unterrichtete ihn in Philosophie, Mathematik und Sprache. Er war wie Aristoteles für Alexander den Großen, doch Kalif al Radi Billah hatte nicht die große Seele des makedonischen Welteneroberers.
Als Ibn Muqla noch im Zenit seines Ruhms stand, ließ er sich einen Palast in Bagdad errichten, der von Legenden begleitet war. In die großen Steinquader auf der Innenseite der Gartenmauer war nach eigener Vorlage der Spruch eingemeißelt: ›Was ich schaffe, überdauert die Zeit.‹
Der Palast hatte einen gewaltigen Garten, den Ibn Muqla aus Liebe zur Tierwelt in einen einmaligen Zoo verwandeln ließ, in dem alle Tiere in voneinander getrennten Gehegen frei herumlaufen durften. Um auch Vögeln ein Gefühl von Freiheit zu geben, ließ er seinen Zoo mit einem seidenen Netz überspannen. Eine große Mannschaft von Wärtern und Pflegern war unter der Führung eines persischen Wissenschaftlers namens Muhammad Nureddin für die Tiere zuständig.
Ibn Muqla wollte die Schöpfung durch Beobachtung der Tierweltverstehen lernen. Seine Mitarbeiter begannen mit Kreuzungsversuchen, die
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