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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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sagen, ich glaube nicht nur daran, ich habe es schon erlebt.« Er streichelte ihr Gesicht, sie küsste ihm die Fingerkuppen.
    Als sie aus dem Bett aufstand und ihre Armbanduhr anlegte, pfiffsie durch die Zähne: »Vier Stunden Liebe, Frau Nura, wir gratulieren zum Aufenthalt im Paradies der Sinne«, sprach sie ironisch zu sich selbst.
    »Willst du schon gehen?«, fragte Salman besorgt.
    »Nein, nein, aber ich möchte meine Kleider tragen, wenn ich dir jetzt etwas sehr Trauriges vorlese«, sagte sie, »ich kann so etwas nicht im Liegen lesen und schon gar nicht nackt oder im Pyjama. Das habe ich von meinem Vater. Er zog sich stets sehr vornehm an, wenn er las, als würde er sich mit dem Autor oder dem Helden der Geschichte treffen.
    Wenn ich zu Ende gelesen habe, komme ich wieder ins Bett und liebe dich so wild wie eine Äffin ihren Affen.«
    Salman sprang auf: »Dann muss ich erst recht aufstehen. Ich bin der Gastgeber und es gehört sich nicht, dass eine Gästin in elegantem Kleid dasitzt und vorliest und der Gastgeber lümmelt nackt herum.«
    Er zog sich schnell an, ordnete sein Bett, kämmte sich und setzte sich ihr gegenüber.
    »Also, über den Geheimbund habe ich nichts gefunden. Das muss eine Verwechslung oder ein Missverständnis sein. Auch mein Vater wusste nichts davon. Ich habe ihm vorgemacht, ich hätte den Bericht eines Journalisten gelesen, der vom Geheimbund der Kalligraphen berichtete. Mein Vater empfahl mir, Journalisten nicht so ernst zu nehmen, denn täglich berichten zu müssen sei ein harter Beruf, und eine Zeitung, die nicht übertreibe, gehe unter. Aber über Ibn Muqla habe ich etwas gefunden, eine sehr traurige Geschichte, die mein Mann einmal in einer Zeitschrift veröffentlicht hat.
    Ich habe sie dir abgeschrieben und habe lediglich die islamische Zeit in christliche Zeit umgerechnet. Willst du die Geschichte lesen oder soll ich sie dir vorlesen?«
    »Lies sie mir bitte vor«, bat Salman.
     
    »Ibn Muqla«, begann sie zu lesen, »wurde im Jahre 885 oder 886 in Bagdad geboren. Genaues weiß man nicht, weil er in eine sehr arme Familie geboren wurde. Er starb im Juli 940, diese Angabe ist deshalb so präzise, weil er im Gefängnis unter Aufsicht starb und weil erdamals in der ganzen arabischen und islamischen Welt berühmt war. Bereits sein Name ist ein Kuriosum, Muqla , ein poetisches Wort für Auge, war der Kosename seiner Mutter, den ihr ihr Vater gegeben hatte, weil er diese seine Tochter besonders liebte. Sie heiratete einen armen Kalligraphen, und nun hieß die Familie nicht nach ihrem Mann oder dessen Sippe, sondern schlicht nach ihr, was damals wie heute eine Seltenheit in Arabien war und ist. Muqlas Kinder und Enkelkinder wurden alle Kalligraphen, doch der berühmteste unter ihnen war unbestritten Muhammad Ibn Muqla.
    Er war der größte arabische Kalligraph aller Zeiten, ein Architekt der Schrift. Er erfand nicht nur mehrere Stile der Schrift, er begründete zudem die Lehre der Maße der Buchstaben und deren Harmonie und Symmetrie. Seine Proportionslehre gilt bis heute. Nach ihr kann man leicht überprüfen, ob etwas falsch oder richtig kalligraphiert ist.
    Alif , das arabische A, ist ein senkrechter Strich, und wurde von ihm als Maß für alle Buchstaben gewählt. Seitdem legt jeder Kalligraph für die gewählte Schrift am Anfang die Länge des Alifs fest. Die Berechnung erfolgt mit senkrecht übereinanderstehenden Punkten. Der Punkt richtet sich wiederum nach der verwendeten Feder und entsteht, wenn man mit der Feder aufs Papier drückt. Alle anderen Buchstaben nehmen, gleich ob sie horizontal oder senkrecht stehen, eine Größe an, die von Ibn Muqla berechnet und mit einer Zahl von Punkten festgelegt wurde. Auch die Rundungen mancher Buchstaben liegen auf einem Kreis, dessen Durchmesser der Länge des Alifs entspricht. Die Einhaltung dieser Maße entspricht der Einhaltung des Rhythmus in einem Musikstück. Nur durch sie erscheint die Schrift harmonisch und wird zu Musik für das Auge. Jeder Meister beherrscht die Regeln nach Jahren der Übung automatisch. Die Punkte ermöglichen aber eine schnelle Überprüfung, ob die Proportion stimmt.
    Ibn Muqla war ein begnadeter Mathematiker, Schriftgelehrter und Naturforscher. Er las auch die Schriften der Theologen und Atheisten wie Ibn al Rawandi, Ibn al Muqaffá, al Rasi und al Farabi. Vor allem aber faszinierte ihn der Universalgelehrte al Gahiz. Doch im Gegensatz zu diesem war Ibn Muqla angewiesen auf die Nähe zu den Herrschern. Al

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