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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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komplexes Inneres, batin, verberge. Deshalb hießen sie ›Batiniten‹. Nach ihrer Lehre hatte jedes Wort im Koran einen doppelten Boden. Die Lehre der Sunniten stand dem diametral entgegen, nach ihr gab es in der Sprache Gottes keine Doppeldeutigkeit.
    Der Kalif in Bagdad, seine Berater, Hofphilosophen und Theologen waren Sunniten. Ihren Kampf gegen die Schiiten verkleideten sie als Kampf eines von Gott erwählten gläubigen Kalifen gegen Abtrünnige und Ungläubige. Sie waren begeistert, dass Ibn Muqla ein präzises System für die Maße der Buchstaben entwickelt und dazu mit der Nas-chi-Schrift eine einfache, schöne und schlanke Schrift erfunden hatte, mit der die Kopisten – nas-ch heißt kopieren – den Koran nun klar und ohne jeden Schnörkel abschreiben konnten. Diese Schrift ist bis heute die meistgebrauchte Schrift für den Buchdruck.
    Die Worte des Korans waren nun eindeutig lesbar und Ibn Muqlas Schriften die beste Waffe im Kampf gegen die schiitische Opposition. Der Kalif und seine Theologen ahnten aber nicht, dass Ibn Muqla die Schrift noch radikaler reformieren wollte.
    Kalif al Radi liebte Ibn Muqla und ließ ihn öffentlich loben, doch als dieser ihm ein Detail seiner neuen Kalligraphie anvertraute, war der Kalif schockiert. Er warnte Ibn Muqla, dass seine Feinde inzwischen gegen ihn rebellierten, doch dieser interpretierte die Warnung als Hinweis eines Verbündeten, blieb bei seinem Vorhaben und begann Gleichgesinnte um sich zu scharen. Einige der Gelehrten und bekannten Übersetzer teilten seine Meinung über die Notwendigkeit einer radikalen Reform der Schrift und der Sprache, ahnten jedoch die Gefahr, weil die Konservativen darin einen Angriff auf den Koran sahen. Deshalb hielt sich die Mehrheit der Reformer zurück. Aber Ibn Muqla missachtete die Gefahr, da er sich der Sympathie des Kalifen al Radi sicher war.
    Ibn Muqlas Feinde erfuhren von seinen Plänen, hinterbrachten sie dem Kalifen und stellten sie in Zusammenhang mit den Tierexperimenten, die ihrer Meinung nach nur das Ziel hatten, Gott zu verhöhnen, da sich Ibn Muqla als Schöpfer aufspielen wolle. Und nun wolledieser Mann auch noch die heilige Sprache des Korans verändern! Der junge Kalif forderte daraufhin Ibn Muqla auf, sein Vorhaben aufzugeben.
    Doch Ibn Muqla, der in seinem Herzen sehr gläubig, aber nicht fanatisch war, versicherte dem Kalifen, dass er lieber sterben würde, als an einem Wort des Korans zu zweifeln. Vielmehr würde die Vereinfachung der arabischen Schrift dem Koran zu noch größerer Verbreitung verhelfen.
    Die beiden Freunde trennten sich in einem gefährlichen Missverständnis: jeder glaubte, er habe den anderen überzeugt.
    Der Kalif wollte seinen geschätzten Gelehrten vor den Intrigen schützen und dachte, dieser habe nun die Gefahr, die sein Leben bedrohte, erkannt.
    Ibn Muqla dagegen sah sich als Reformer im Recht und betrachtete seinen Weg als den einzig möglichen, die arabische Schrift auf das Niveau eines Weltreiches zu erheben.
    Er schrieb mehrere Abhandlungen, in denen er die Fehler der arabischen Sprache und Schrift aufzählte, und machte Vorschläge zu ihrer Verbesserung.
    Kalif al Radi stand der Reform zunächst nicht ablehnend gegenüber. Die Gelehrten hatten ihm jedoch damit gedroht, ihm die Gefolgschaft zu verweigern und dem Islam treu zu bleiben, wenn er Ibn Muqlas Reform zustimmen würde. Der Kalif, der bereits die Ermordung seines Vaters durch einen aufgebrachten Mob und die seines Onkels durch eine Palastverschwörung erlebt hatte – er selbst war einem Mordanschlag nur knapp entgangen –, wusste, was das bedeutete.
    Dazu ließen die Intriganten den Kalifen wissen, dass Ibn Muqla sich gegen ihn verschworen hätte. Der Kalif wurde zornig und gab den Befehl, Ibn Muqla zu verhaften, ohne ihn selbst zuerst zu befragen. Er hatte jedoch nicht den Mut, den großen Kalligraphen und Wesir persönlich zu bestrafen, sondern delegierte die Ausführung der Strafe an einen zuverlässigen Emir und Hofbeamten, nicht ahnend, dass dieser in der Verschwörung gegen Ibn Muqla federführend war. Er ließ Ibn Muqla auspeitschen, der aber gab das Versteck der Niederschrift seines neuen Alphabets nicht bekannt. Aus Rache ließ derHofbeamte Ibn Muqlas rechte Hand abhacken. Er enteignete ihn und ließ seinen Palast samt Zoo in Brand stecken. Es wird erzählt, dass alles niederbrannte, bis auf das Stück Mauer, auf der das Wort »Zeit« stand.
    Was das Feuer nicht fraß, raubte das hungrige Volk von Bagdad. Die

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