Das Geheimnis Des Kalligraphen
im Palast des Kalifen für Bewunderung, aber auch für Hass und Verachtung sorgten. Von all den Diskussionen und Experimenten drang nichts durch die dicken Mauern der Paläste hinaus und das Volk blieb unwissend.
Zwar erzielten Ibn Muqlas Mitarbeiter bald kleine Erfolge sowohl in der Vogelwelt als auch bei Hunden und Katzen, Schafen und Ziegen, Eseln und Pferden, aber viele dieser Experimente führten zu Missbildungen.
Die Fortschritte auf naturwissenschaftlichem Gebiet ermunterten Ibn Muqla zu einem weiteren Schritt, der ihm Weltruhm hätte bringen können. Der zwanzigste Kalif der Abbassiden, al Radi Billah, war ihm sehr zugeneigt. Ibn Muqla sah in ihm den Mann, der ihm bei dem bevorstehenden Schritt der Schriftreform beistehen könnte. Der Kalif war vierundzwanzig Jahre alt und ein weltoffener Mensch, der selbst Gedichte schrieb und den Wein und die Frauen liebte. Dafür verbannte er die konservativen Gelehrten aus der Hauptstadt Bagdad und umgab sich nur mit liberalen Theologen, doch an seinem Hof hatte er, wie auch die späteren Kalifen, immer weniger zu bestimmen. Palastbürokraten, Prinzen, hohe Offiziere und die Frauen des Kalifen sorgten durch Intrigen und Verschwörungen dafür, dass kein Reformer zu lange in der Nähe des Kalifen blieb.
Durch sein Ansehen, sein Wissen und seinen Reichtum zog Ibn Muqla viel Neid und Hass auf sich. Er war damals Ende vierzig und erkannte, dass das Kalifat durch und durch verdorben war. So hatte er Sorge, dass er seine revolutionären Pläne nicht mehr würde realisieren können. Bagdad war ein Ort der Unruhe, der Revolten und der Verschwörungen geworden. Auch war er selbst von stolzer Natur und hitzigem Temperament. Nicht selten reagierte er gereizt, ungeduldig und schroff im Umgang mit den Hofbeamten. Damit machte er sich in der unmittelbaren Umgebung des Kalifen unbeliebt.
Doch war er trotz aller Intrigen und gegen ihn gerichteten Verschwörungen Wesir beim jungen Kalifen al Radi geworden. Ibn Muqla fühlte sich in seinem Genius bestätigt und wurde hochnäsig.
Treue Freunde rieten ihm, zurecht besorgt, sich vom Palast zu entfernenund sich in seinem Ruhm als begnadeter Kalligraph zu sonnen, aber Ibn Muqla hatte ehrgeizige Reformpläne für das arabische Alphabet und dafür war der Beistand des Kalifen gegen die Macht der Moscheen notwendig. Doch er irrte sich in der Einschätzung des Kalifen und zahlte dafür einen teuren Preis.
Ibn Muqla hatte die persische, arabische, aramäische, türkische und griechische Sprache studiert sowie die Metamorphose der arabischen Schrift von den Anfängen bis zu seiner Zeit. Sorgfältige Studien ermöglichten ihm die Erfindung eines neuen arabischen Alphabets, das mit nur fünfundzwanzig Buchstaben alle damals bekannten Sprachen wiedergeben konnte. Dafür mussten einige ›tote‹ Buchstaben verschwinden und einige neue aufgenommen werden. Für den Fall, dass der Widerstand dagegen zu groß wäre, plante er, die Buchstaben des alten Alphabets beizubehalten und zusätzlich vier neue Buchstaben aufzunehmen, nämlich P , O , W und E , mit denen persische, japanische, chinesische, lateinische Wörter und viele Sprachen Afrikas und Asiens besser hätten wiedergegeben werden können.
Er wusste, dass allein der Gedanke an eine Veränderung der Schrift unter allen Kalifen als Todsünde galt. Sie, die in ihren Palästen zu ihrem Vergnügen bis zu viertausend Frauen und Eunuchen hielten und nicht selten dem Wein mehr als der Religion zugeneigt waren, griffen in religiösen Fragen unerbittlich durch. Sie ließen bekannte Philosophen und Dichter auspeitschen oder barbarisch töten, wenn diese geringste Reformen der Herrschaftsstruktur oder der Religion verlangten oder am Koran zweifelten.
Die Kalifen betrachteten sich ungeniert als ›Schatten Gottes auf Erden‹ und ihr Kalifat als den vollkommenen Ausdruck göttlicher Herrschaft. Deshalb reagierten sie und noch mehr ihre Verwalter auf alle Veränderungsvorschläge absolut unnachgiebig.
Ibn Muqla wollte mit seinen revolutionären Reformen die arabischen Buchstaben eindeutig machen, und ahnte nicht, dass er damit die herrschenden Sunniten im Kampf gegen die Schiiten unterstützte. Deren extreme Fraktionen, wie die Ismailiten, hatten den Koran immer als Buch mit mehreren Ebenen und Erklärungsmöglichkeiten angesehen. Einige Extremisten gingen so weit zu behaupten, dass das,was das gemeine Volk vom Koran verstand, al saher sei, nur die Oberfläche, die Hülle, die jedoch ein wichtigeres
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