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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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worden, um unbeliebte Zeitgenossen oder politische Gegner fertigzumachen.
    »Und wodurch kann man jeden arabischen Mann tiefer demütigen, als von ihm das Bild des Zuhälters der eigenen Frau zu verbreiten?«, fragte Salim, wartete die Antwort aber gar nicht mehr ab. Er stand auf und verabschiedete sich mit einem weichen Händedruck von ihm.»Der Abbani-Clan hat auch meinen Vater ruiniert, weil er ihm arglos vertraute. Sie stehen mit dem Teufel im Bund! Oder denkst du, es ist ein Zufall, dass der Hurenbock Nassri inzwischen die Hälfte der Baugrundstücke in Abu Rummane besitzt, ohne einen Finger gerührt zu haben?«
    Hamid hätte weinen können vor Wut. Der Mann sprach genau das aus, was er sich längst selbst zusammengereimt hatte. Nassri Abbani war eine Schlange. Nun verstand er auch, warum er der öffentlichen Feier in der Kalligraphieschule ferngeblieben war.
    Um Nassri, diesem gerissenen Verbrecher, beizukommen und die laufenden Kosten zu stoppen, beschloss Hamid im Juli, das Atelier vorläufig zu schließen. Samad erinnerte ihn vergeblich an mehrere große Aufträge, die noch im Herbst geliefert werden mussten. Aber Hamid ließ sich nicht erweichen.
    Es war an jenem Tag, als die Gerüchte in Damaskus wie ein von unsichtbarer Hand dirigierter Choral ein weiteres Lied über Nura anstimmten: Nura sei auf einem englischen Passagierschiff gesehen worden, das Beirut in Richtung Golf verlassen habe.
    Hamid entließ in einem Anfall sämtliche Angestellte seines Ateliers, von Samad bis zum jungen Laufburschen Hassan, alle. Und beim Abschied teilte er ihnen mit, was er all die Jahre von ihnen gehalten hatte: sie seien stümperhafte Handwerker und deshalb für die Kunst der Kalligraphie hoffnungslose Fälle. Er verhöhnte Samad, er solle mit dem Laufburschen Hassan die nächste Autowerkstatt aufsuchen, denn dort könnten sie der Menschheit endlich nützlich sein.
    Nicht nur Samad, alle Mitarbeiter waren zutiefst beleidigt. Sie dachten, ihr Meister wäre vollkommen durchgedreht, dass er nicht einmal ein Minimum an Höflichkeit und Dankbarkeit bewahrte. Nur der kleine magere Junge Hassan folgte dem Rat seines Meisters und suchte die nächste Autowerkstatt auf. Er stand klein und fast verhungert vor dem grobschlächtigen Meister und sagte geradeheraus, ein Meister der Kalligraphie habe ihm prophezeit, er werde ein guter Automechaniker. Der ölverschmierte Mann lachte und zeigte seine gelben Zähne: »Ach, Kalligraphen quatschen viel, aber was soll’s! Wir brauchen einen Laufburschen. Kannst du Tee kochen?«
    »So gut, wie du ihn noch nie getrunken hast, Meister«, sagte der kleine Junge stolz.
    »Dann rein mit dir, eine Lira die Woche und dann werden wir sehen«, sagte der Besitzer der Autowerkstatt.
     
    38.
     
    A m 19. April 1957, neun Tage nach Nuras Flucht, stürmten am späten Vormittag zehn bärtige Männer die Schule für Kalligraphie.
    Sie schlossen die Tür von innen ab, rissen das Telefonkabel aus der Wand und schlugen das gesamte Mobiliar kurz und klein. Es war ein Freitag, und nur die Sekretärin war gekommen, um die vielen Schreibarbeiten, die sich in der Woche angesammelt hatten, zu erledigen. Sie erlebte den Schock ihres Lebens. Die Männer sahen aus, als wären sie gerade einem schlechten Film über Araber entstiegen. Einer von ihnen brüllte sie an. »Du arbeitest am Freitag, du Ungläubige!« Er gab ihr eine Ohrfeige, die sie zu Boden warf. Ein anderer riss ihre Jacke vom Kleiderständer und warf sie ihr über den Kopf. »Bedecke deinen Kopf, du Hure«, rief er. Sie konnte nicht einmal schreien. Man knebelte sie und band sie auf dem Bürostuhl fest. Anschließend liefen die Männer durchs Haus, und sie hörte, wie Möbel, Spiegel, Glastische und Bücherschränke zu Bruch gingen. Als sie wieder in ihr Büro kamen, malten sie mit einem breiten Pinsel in roter triefender Farbe ihre hässlichen Sprüche und Drohungen an die Wände. Dann war der Spuk vorbei.
    Anfang Mai wurde die Schule zum Schutz der Schüler geschlossen. Hamid war sich nun sicher, dass Nassri Abbani zu den Drahtziehern gehörte, die hinter der Schließung der Schule standen.
     
    39.
     
    M anche erzählten, er sei in Beirut, andere wollten ihn in Istanbul gesehen haben, wieder andere berichteten, er sei längst in Brasilien bei seinem Freund, dem ehemaligen Präsidenten Oberst Schischakli.
    Niemand hätte eine Lira darauf gewettet, dass Nassri Damaskus nie verlassen hatte.
    Wie er die Frauen liebte, so liebte er auch seine Heimatstadt:

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