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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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hatte, wo sich Nassri verbarg. »Verlass sofort das Haus. Geh nicht zu deinen anderen Frauen, weil Hamid nun alle vier Häuser im Visier hat. Fahr mit einem Taxi zu mir nach Hause. Ich komme auch gleich und wir besprechen alles.«
    Nassris schnelles Handeln rettete ihm das Leben. Denn genau eine Stunde nach seinem überstürzten Abgang stürmte Hamid Farsi mit gezücktem Messer in das vornehme Haus, stieß die schreiende Saide beiseite und durchsuchte alle Räume. Hamid bebte am ganzen Leib, als er enttäuscht abziehen musste. »Diesmal ist er mir entkommen. Aber ich werde ihn finden und umbringen«, rief er ihr atemlos zu und schlug die Tür hinter sich ins Schloss.
     
    Taufiqs Frau hatte ein üppiges Essen vorbereitet, zog sich aber mit den Kindern zurück. Und als ob nichts passiert wäre, gab Taufiq beim abschließenden Tee einen kurzen Bericht über die Geschäfte, die er erfolgreich für Nassri abgewickelt hatte. Alles nur gute Nachrichten! Nassri schluckte seine bissigen Kommentare, die sich auf seiner Zunge zu einer Meute versammelten, mit einem kräftigen Schluck Tee hinunter.
    Nur eine Bemerkung entkam ihm: »All diese Geschäfte sind sinnlos, wenn er mich erwischt.«
     
    Taufiq war der Ansicht, Nassri solle die Stadt sofort verlassen, aber Nassri ließ in diesem Punkt nicht mit sich reden. Also bemühte sich Taufiq um den sichersten Ort in Damaskus und Umgebung, und der war bei Nassris Onkel Badruldin. Dieser besaß eine schlossähnliche Villa in Dummar, einem Dorf in der Nähe von Damaskus.
    Nassri folgte, er hatte keine andere Wahl. Als er ein einziges Mal aus Sehnsucht nach dem Lärm der Stadt am helllichten Tag ins Café Havanna ging, wäre die Sache beinahe schiefgelaufen. Er trank einen Mokka und ließ seine Augen und Ohren an der Damaszener Geschäftigkeit teilnehmen, als er plötzlich Hamid Farsi auf der anderen Seite der Straße bemerkte, der das berühmte Café zu beobachten schien, und wäre die Straßenbahn nicht dazwischengekommen, er wäre in dessen Hände gefallen. Nassri schlüpfte aus der Hintertür, sprang in ein Taxi und flüchtete nach Dummar. Der Kalligraph wuchs langsam zu einem Kraken, der überall seine Tentakel nach ihm ausstreckte.
    Onkel Badruldin war ein reicher Bauer der alten Schule, der Städter für verlorene arme Teufel hielt. Nassri fand ihn schon als Kind ziemlich beschränkt. Wenn der Onkel sie in der Stadt besuchte, seine Äpfel mitbrachte und anfing zu philosophieren, warum die Zeit so schlecht geworden war – »die Menschen haben die Mutter Erde vergessen«, pflegte er zu sagen –, und wenn es zu einem Gespräch über das Benehmen der Jugend, die Untreue der Eheleute, den Gestank der neuen Fabriken oder die Kriege kam, die überall auf der Welt entflammten, waren alle schnell gelangweilt. Nassri hielt es höchstens zehn Minuten aus. Der Onkel konnte nicht einmal eine Geschichte erzählen, sondern nur predigen, predigen und noch einmal predigen gegen die Verlotterung der Sitten.
    Er war inzwischen um die siebzig und neben die Beschränktheit seines Geistes trat verstärkt seine Angst vor dem Jüngsten Gericht, das er jeden Tag erwartete. Ob ein Unwetter, ein Krieg oder eine Epidemie, für ihn war alles der sichere Beweis, dass das Ende der Welt nahte.
    Es war nicht einfacher geworden, sich in seiner Nähe aufzuhalten, und da er keinen einzigen Zahn mehr im Mund hatte, wurde man nicht nur vollgeredet, sondern auch noch vollgesprüht.
    »Das Ende naht und die Erde wird in die Sonne fallen und aufglühen wie ein Stück Papier über der Glut«, sagte er eines Abends. Und nach solchen apokalyptischen Verheißungen fiel es Nassri immer schwerer, Schlaf zu finden. Alles Mögliche sauste durch seinen Kopf, bis er irgendwann in der Nacht schweißgebadet aufwachte.
     
    Wie lange er sich schon bei seinem Onkel versteckt hielt, wusste er bald selbst nicht mehr. Der Onkel erschlug ihn mit seiner bäuerlichen Gastfreundschaft. »Was knabberst du so wie ein Schulkind? Lang zu. Wir haben viel und wollen nicht, dass unser Gast hungrig ins Bett geht wie bei den modernen Gastgebern. Iss ruhig, wir schauen nicht zu«, rief er, und Nassri war sich sicher, der Onkel zählte jeden Bissen, den er machte.
    Nassri aß nie im Leben Nachtisch, und Obst sollten Kinder und Kranke zu sich nehmen. Er brauchte einen starken Kaffee mit Kardamom. Der Onkel dagegen äußerte die Ansicht, Kaffee sei giftig und da er nur das zu sich nehme, was die syrischen Felder hergaben, komme Kaffee für ihn

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