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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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sollen, bevor sie euch unnötig beunruhigt. Es sind Briefe, die ich für einen Kunden ... «, wollte er erklären, aber Scheich Arabi schüttelte nur abweisend den Kopf. »Nura ist nicht bei uns. Sie ist geflüchtet ... ich habe dir eine Blume zur Frau gegeben, und was hast du mit ihr gemacht, Ehrloser?«, sagte der Scheich, und seine Stimme erstickte an seiner nicht ausgesprochenen Trauer. Er warf einen verächtlichen Blick auf seinen Schwiegersohn und ging.
    Hamid Farsi war wie vor den Kopf geschlagen.
    Dieser Hurenbock Nassri Abbani hatte ihn hereingelegt. Er hatte Nura, seine Frau, mit den Briefen verführt und wer weiß, wem allemer das erzählt hat, um seinen Ruf zu zerstören und ihn zu demütigen. Hatte Nassri Abbani das von Anfang an geplant?
    Aber noch glaubten der Kalligraph und seine lauschenden Nachbarn, dass Nura nicht endgültig geflüchtet war. Er rief im Atelier an und sagte, er werde an diesem Tag nicht kommen. Das war bisher nicht vorgekommen. Von nun an und bis zur Schließung des Ateliers wurde es aber fast die Regel.
    Hamid wusch und rasierte sich, zog seinen Sommeranzug an und ging zielstrebig zu seinen Schwiegereltern ins Midan-Viertel. Scheich Arabi war nicht zu Hause. Nur seine Frau Sahar schaute verheult durch den Türspalt.
    »Was hast du gemacht? Ich habe dich wie einen Sohn geliebt«, sagte sie, um ihre anderen Gefühle zu verschweigen, denn einst hatte sie sich unsterblich in diesen drahtigen und willensstarken Mann verliebt. Immer wenn er ihr ein Wort sagte oder sie nur leicht berührte, fühlte sie sich tief im Herzen angesprochen. Doch sie hatte ihr Herz geopfert, um die Ehre und den Ruf der Familie zu retten. Und nun erstarb alles in ihr und sie fühlte, dass sie richtig gehandelt hatte, denn dieser Mann hatte mit seiner Ausstrahlung nur geblendet. Sie wäre bei ihm ohnehin verloren gewesen.
    Sie machte keine Anstalten ihn hereinzulassen. Es war in dem traditionellen Viertel nicht üblich, dass eine Frau in Abwesenheit ihres Mannes einen anderen Mann empfing. Auch Cousins und Schwiegersöhne mussten warten, bis der Hausherr kam.
    »Lass mich dir erklären«, sagte er und fasste nach ihrer Hand. Aber sie zog sie schnell zurück und schlug die Tür zu. Hamid rief noch gegen die Tür: »Aber wann ist sie geflüchtet?«
    »Wir wissen nichts«, sagte die Mutter weinend. Er klopfte leise, vergeblich. Die Nachbarin Badia erschien an der Türschwelle ihres Hauses.
    »Was ist denn los? Kann ich dir helfen?«, fragte sie den Kalligraphen, den sie gut kannte. Sie ahnte etwas Schlimmes, denn Nuras Mutter sprach mit ihr zum ersten Mal kein Wort, sie hatte immer nur »Katastrophe, Katastrophe« gemurmelt und wurde nicht mehr gesehen.
    »Nein, danke«, sagte der Kalligraph kurz angebunden und schlepptesich zur Hauptstraße, wo er sich von einer Kutsche nach Hause fahren ließ.
    Es war schlimmer, als er gedacht hatte.
    »Ich bin ein Esel«, rief er aus, als er abends allein vor dem Brunnen saß und an Nassri dachte. Er klagte so laut, dass die Nachbarn es hörten. Bis zu dieser Stunde wusste noch keiner, dass Nura geflüchtet war. Erst im Laufe des Abends drang die sichere Nachricht zum Nachbarhaus, sie brauchte aber noch bis zur Morgendämmerung, bis sie als reifes Gerücht den ersten Schritt ihrer Runde durch die Bäckereien und Garküchen machte.
     
    Nassri Abbani war wie vom Erdboden verschluckt. Auch Wochen nach Nuras Flucht konnte Hamid ihn nicht finden. Und in seiner verletzten Fantasie entwickelte er ganze Filme, in denen der reiche Abbani Frauen verführte, um sie an Ölscheichs zu verkaufen.
    Ins Atelier ging Hamid nur ein- oder zweimal im Monat. Selbst dann, als es um größere Aufträge ging und er dringend benötigt wurde, winkte er ab.
    Ende Mai erzählte ihm Salim, ein Friseur, dessen Laden nicht weit von Hamids Atelier lag, er habe gehört, Nassri Abbani sei nicht zufällig zu Hamid gekommen, er habe es vielmehr von Anfang an darauf abgesehen, ihn in den Ruin zu treiben. Nassri Abbani habe von höherer Stelle den Auftrag bekommen, sich mit den Aufträgen für extravagante Kalligraphien an Hamid heranzumachen und ihn mit Großzügigkeit nach und nach zu verführen, bis er schriftliche Zeugnisse seiner Charakterlosigkeit vorlegen könne. Salim fügte verschwörerisch hinzu, die Rollen seien gut verteilt. Während Nassri Abbani Hamids Ruf mit den Briefen ruiniert habe, habe eine Bande erfahrener Krimineller Nura entführt. Das sei drei-, viermal in Beirut, Kairo und Bagdad praktiziert

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