Das Geheimnis Des Kalligraphen
schon lange nicht gesehen hatten. Mancher Nachbar freute sich schon voreilig auf die Möglichkeit, bald eine gute Zweizimmerwohnung zu besetzen. Aber Salmans Vater erholte sich und lebte lange Jahre, trank aber keinen Tropfen Alkohol mehr.
Etwa zu dieser Zeit kehrte Faise, Sarahs Mutter, aus Homs zurück, wo ihre Tochter ihr erstes Kind, ein Mädchen, bekommen hatte. Faise erzählte dem Metzger Mahmud und der Nachbarin Samira vertraulich, dass Salman für viel Geld als Koch in Kuwait arbeite. »Das bleibt unter uns«, sagte Faise verschwörerisch. Und das galt in Damaskus als Aufforderung, diese Nachricht besonders schnell zu verbreiten. Metzger Mahmud und Nachbarin Samira leisteten gute Arbeit.
Innerhalb von siebenundzwanzig Stunden und dreiunddreißig Minuten erreichte die Nachricht Karam in seinem Café. Er glaubte nicht, was er hörte, rief bei »Al Andalus«, dem vornehmen Restaurant im christlichen Viertel, an und fragte den Wirt nach seinem Freund Salman.
»Leider ist er flügge geworden. Ich hätte den witzigen Kerl gerne zu meiner rechten Hand gemacht. Keiner meiner Gesellen hier hat so schnell gelernt wie dieser kleine Bursche, der singend vor sich hin gearbeitet und alles mit solch einer Begeisterung gemacht hat. Und eine feine Nase hatte der Kerl. Das ist in unserem Beruf Gold wert. Schade, aber ich gönne es ihm. Er verdient in Kuwait, wie ich gehört habe, mehr als ich mit meinem Restaurant.«
Karam legte auf und weinte vor Wut auf die Ölscheichs, auf die »Reinen«, auf seine Dummheit, auf Badri und auf Salmans hartesHerz, das ihm keine Chance gegeben hatte, seinen Fehler wieder gutzumachen.
Die Nachricht von der Karriere als Koch in Kuwait erfuhr nach dem zwanzigsten oder dreißigsten Wechsel der Zunge etliche Metamorphosen. Mal kochte Salman für den Emir von Kuwait, ein andermal war er Besitzer einer Restaurantkette in die Golfregion. Einige ließen ihn zum Islam übertreten und eine Cousine des Herrschers heiraten, andere wussten davon, dass er zu Fischfutter verarbeitet worden war.
Im Herbst jedenfalls, als die Geschichte zu Sarahs Mutter zurückkehrte, hatte sie so viele Veränderungen erfahren, dass nicht einmal Faise sie wiedererkannte.
37.
J ahre später sollte Hamid allen, die Ohren und Geduld hatten, erzählen, die Flucht seiner Frau habe ihm die Augen gereinigt. Am Tag ihres Verschwindens sei ihm der Niedergang der Araber klar geworden. Er wollte nicht mehr mitmachen. Er habe die Menschen aufrütteln wollen, aber nun lasse er sie in ihrem tiefen Schlaf und bedauere nichts. Ein Volk, das seine Reformer bestraft und seine Propheten verfolgt, vertreibt und tötet, sei dem Untergang geweiht.
Hamid hatte vom Verschwinden seiner Frau erfahren, als er abends nach Hause kam. Er hatte an der Kalligraphieschule viel zu tun gehabt und am Nachmittag lange, zähe Verhandlungen zu einem guten Ende geführt. Er bekam den Auftrag, alle Kalligraphien und Ornamente für die von Saudi-Arabien finanzierte Saladin-Moschee zu fertigen. Die Verhandlung war nicht leicht gewesen, zumal die Kalligraphen aus den anderen arabischen Ländern bereit waren, die Arbeit für ein Fünftel seines Honorars zu leisten. Auch drei der berühmtesten syrischen Kalligraphen gingen leer aus. Hamid bot ihnen an, gegen gute Bezahlungfür ihn zu arbeiten, was sie dankend annahmen. Es war ein gesegneter Tag.
In jener warmen Aprilnacht kehrte er also glücklich und zufrieden heim. Die Kalligraphieschule hatte Anfang April, einen Monat früher als geplant, mit dem Unterricht begonnen, und im »Bund der Wissenden« hatte er sich gegen alle Neider durchgesetzt, die ihm die Stelle als Großmeister streitig machen wollten. Eine überwältigende Mehrheit der Mitglieder gab ihm ihr absolutes Vertrauen. Seine Gegner hatten den Augenblick miserabel gewählt. Hamid war nicht nur der beste Kalligraph, sondern auch der Held, der den Bund so weit gebracht hatte wie keiner vor ihm.
Auf dem Weg nach Hause flüsterte er mehrmals: »Hamid, du hast es geschafft.« Und er atmete tief ein und rief etwas zu laut: »Ja.«
Jetzt wollte er seine Frau und die Nacht genießen. Er hatte für sie ein dünnes Nachthemd aus roter durchsichtiger Seide gekauft und wollte, dass sie ihn darin verwöhnte.
In einem teuren Laden ließ er sich zweihundert Gramm Pasturma, einen luftgetrockneten Rinderschinken mit pikanter Hülle aus scharfen Gewürzen, hauchdünn schneiden. Auch teuren Käse und Oliven ließ er sich einpacken. Für seine Frau nahm er
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