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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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rieb sich Salman die blassen Wangen mit einem Bimsstein, bis sie fast bluteten. Sarah beobachtete ihn, wie er sich in der Küche wusch und kämmte. »Heiratest du heute?«, fragte sie. »Der Bademeister will mich anschauen. Er soll nicht denken, ich wäre krank«, lachte er.
    »Hast du Angst?«, fragte sie. Salman nickte.
    In seinem Unterhemd und mit einem Tuch um den Bauch sah der Bademeister tatsächlich furchterregend wie ein Samuraikämpfer aus. Er musterte Salman und schüttelte dann den Kopf. »Du hast gesagt, du hast einen starken Freund. Wo ist er?«, rief er Said zu. »Das hier ist ein Zahnstocher. Wenn meine Gäste ihn sehen, denken sie, wir sind ein Krankenhaus für hoffnungslose Fälle.«
     
    8.
     
    »A rabi«, sagte die Großmutter, »ist der Familienname meines Mannes und deshalb auch deines Vaters, aber ich heiße Karima, und wenn du mich meinst, dann rufe Oma Karima und nicht Oma Arabi. Und weißt du auch, meine Kleine, was das bedeutet?«, Nura schüttelte den Kopf.
    »Karima bedeutet edel, kostbar und großzügig. Vor allem großzügig muss eine Frau sein. Das gefällt den Männern, weil sie ziemlich ängstlich sind und dauernd mit einer Hungersnot rechnen. Ich habe sehr früh gelernt, großzügig zu sein, deshalb kannst du dir von mir wünschen, was du willst, ich werde es dir bringen – und sei es die Milch eines Spatzen«, sagte sie und bastelte weiter an einem bunten Papierdrachen.
    Als Nura ihren Vater fragte, wie die Milch eines Spatzen schmecke, lachte dieser und sagte, das sei eine der vielen Erfindungen seiner Mutter, aber sie solle es ruhig einmal probieren.
    Ihre Mutter dagegen wurde wütend: »Was erzählt deine Mutter für einen Unsinn? Spatzen legen Eier und geben keine Milch. Solche Flausen im Kopf verderben das Mädchen«, sagte sie und verdrehte die Augen.
    Beim nächsten Besuch wünschte sich Nura also Spatzenmilch. Die Großmutter verschwand in der Küche und kam mit einem Glas mit lilagefärbter Milch wieder. »Dieser Spatz hat heute sehr viele Beerengepickt«, sagte sie. Die Milch schmeckte herrlich süß und duftete nach der dunklen Damaszener Beere.
    Die Gasse ihrer Großmutter Karima hatte einen besonders guten Geruch. Aus der Bäckerei, die nicht weit von ihrem Haus lag, strömte immer der Duft des frischgebackenen Brotes. Dieser kleine Bäcker war spezialisiert auf ein besonders dünnes Fladenbrot, dessen Laib einen halben Meter im Durchmesser hatte. Das Brot war billig. Bauern und Arbeiter kauften es in großen Mengen. Nuras Eltern mochten es nicht. Sie sagten, es schmecke verbrannt und zu salzig.
    Aber immer wenn sie bei der Großmutter war, holte diese ein großes frisches Fladenbrot, und sie aßen es, gemeinsam an dem großen Tisch sitzend, einfach so ohne Zutaten. Der Großvater lachte über beide, wenn er sie sah.
    »Als ob wir nichts zu essen hätten«, protestierte er, »sitzt ihr wie indische Fakire und esst nacktes Brot.«
    »Ein Mädchen«, sagte die Großmutter, »muss früh lernen, sich über kleine Dinge zu freuen. Männer können das nicht.«
    Nura wollte, sooft sie konnte, zu Großmutter Karima gehen, aber als sie noch klein war, musste sie immer warten, dass ihr Vater sie begleitete. Ihre Mutter besuchte die Schwiegereltern selten. Immer wenn Nura zu ihnen wollte, bekam die Mutter Migräne und bat den Vater, mit Nura allein hinzugehen.
    Nura erinnerte sich auch Jahre später noch an die Großmutter in ihrem kleinen Haus. Der Innenhof war ein einziger Dschungel wuchernder Pflanzen. Stühle und Eckbänke waren regelrecht versteckt hinter einem Vorhang aus Kletterjasmin und kleinwüchsigen Orangenbäumen, Oleander, Rosen, Hibiskus und anderen Blumen, die in Töpfen auf grün gestrichenen Holzgestellen standen. Sobald Nura bei der Großmutter ankam, beeilte sich die alte Dame, ihr einen Kranz aus blühenden Jasminzweigen zu binden und auf den Kopf zu setzen.
    Der Großvater war ein kleiner, sehr alter, stiller Mann, der irgendwo in diesem Dschungel saß und las oder seine Gebete verrichtete. Sein Gesicht ähnelte mit den abstehenden Ohren dem ihres Vaters und seine Stimme war noch dünner und noch höher.
    Einmal überraschte sie den Großvater, indem sie ihm die Überschriftender Zeitung vorlas. »Du kannst also lesen!«, sagte er verwundert.
    Wann genau sie es gelernt hatte, wusste sie nicht mehr, aber sie konnte bereits fließend lesen, als sie mit sieben in die erste Klasse kam.
     
    Die Großmutter bastelte für Nura bei jedem Besuch einen Drachen aus

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