Das Geheimnis Des Kalligraphen
als Salman ihr von den zerrissenen Hosenböden der beiden Bauernburschen erzählte, und wie sie Zauberformeln geschrien hätten, in der Hoffnung, sich damit vor dem Hund zu schützen, musste sie sogar lachen.
»Der Hund versteht kein Arabisch«, rief die Mutter.
Sie aßen Brot und Oliven und tranken Tee, dann legten sie sich schlafen. Salman sollte Jahre später noch sagen, dass ihm Oliven nie wieder so gut geschmeckt hätten.
Er wachte auf, als er von unten verzweifelte Rufe seines Vaters hörte. Salman ging mit einer Kerze in der Hand nach unten. Sein Vater lag im Korridor auf dem Bauch und wimmerte vor Angst und auf ihm stand in Siegerpose der Hund.
»Komm nie wieder hierher«, schrie Salman und pfiff den Hund herbei. Noch nie hatte er den Vater so schnell davontorkeln sehen, nur seine Flüche blieben zurück.
Doch es verging kein Jahr, und die Weber-Erben hatten sich geeinigt und das Haus für teures Geld an die Kirche verkauft. An seiner Stelle sollte, in unmittelbarer Nähe der Buloskapelle, bald ein modernes, katholisches Altersheim entstehen.
Der Hund aber durfte nicht in den Gnadenhof. Nicht nur Salmans Vater, sondern auch die meisten der Nachbarn waren dagegen, da sie angeblich Angst um ihre Kinder hatten. Es half nichts, dass Sarah und Salman allen zeigten, wie kinderlieb Flieger war. Nachbarin Samira führte mit ihrem unermüdlichen Mundwerk den Kampf gegen den Hund an. »Samira hat Angst, dass er in der Nacht all die Männer in Stücke reißt, die sie in ihrer Wohnung aufsuchen«, sagte Sarah.
»Was für Männer?«, fragte Salman.
»Das ist nichts für kleine Jungen«, antwortete Sarah und schaute bedeutsam in die Ferne.
In der Ruine einer ehemaligen Papierfabrik in der Nähe des Osttors fand Sarah ein Versteck für Flieger. Es war ein vergessenes Wächterhäuschen. Überwuchert vom Efeu, war es gut erhalten geblieben. Dort lebte der Hund bis zu seinem mysteriösen Verschwinden sieben Jahre später. Aber davor passierten wichtige Dinge in Salmans Leben, deshalb sollten sie zuerst erzählt werden.
Wenn ihm Sarah nicht vorlas, seine Mutter ihn nicht brauchte, er nicht mit seinem Hund unterwegs war und keiner Gelegenheitsarbeit nachging, spielte Salman auf der Gasse. Mehr als zehn Jungen trafen sich dort täglich. Er gesellte sich zu ihnen, drang jedoch nie in ihre Mitte vor und wurde nie einer der ihren.
Fünf von ihnen lebten mit ihm auf dem Gnadenhof und waren genauso bettelarm wie er, aber sobald sie auf der Gasse mit den anderen Jugendlichen spielten, die immer satt und sauberer als sie aussahen, taten sie so, als wäre nur er, Salman, aus dem Gnadenhof. Vor allem seine abstehenden Ohren waren Zielscheibe ihres Spotts. Adnan, SamirasSohn, erzählte eine grässliche Geschichte über ihre Entstehung: »Die Hebamme hatte es eilig, doch Salman wollte nicht auf die Welt. Er hatte Schiss vor dem Leben. Doch die Hebamme erwischte seine Ohren und zog daran, bis er herauskam«. Er lachte hämisch und steckte die anderen an.
Später nannte Adnan ihn »Sohn der Verrückten«. Salman fühlte tief in seinem Innern einen Schrecken. Seine Mutter war nicht verrückt. Sie war krank. Sehr krank. Aber wie sollte er das diesem groben Kerl klarmachen?
Ihm tanzte das Wort »Hurensohn« auf der Zunge, aber seine Angst warf das Wort in seinen Rachen zurück und er schluckte schwer. Adnan war groß und kräftig.
Wie alt er war, als er zum ersten Mal kochte, wusste er später nicht mehr, aber es musste in dem Jahr gewesen sein, nachdem er und seine Mutter endgültig aus dem Weberhaus ausgezogen waren. Faise merkte, dass Mariam so verwirrt war, dass man sie nicht mehr allein in die Küche gehen lassen durfte. Sie kochte nun für sich und die Familie ihrer Freundin. Sarah half dabei und irgendwann gesellte sich Salman dazu.
»Lehre mich kochen«, sagte er zu Faise, doch die Frau schickte ihn lachend zu den anderen auf die Gasse: »Du sollst mit den Jungen spielen. Die Küche ist nichts für Männer«, sagte sie. Es war nichts zu machen. So fing er an, sie heimlich zu beobachten: wie sie den Reis wusch, Nudeln kochte, Zwiebeln schälte, Knoblauch zerdrückte und die Hammelknochen aufbrach, um an das schmackhafte Knochenmark zu kommen. Es verging kein Jahr und er konnte mehrere einfache Gerichte zubereiten. Faise und Sarah schmeckte das Essen. Und sein Vater? Er merkte nach fünf Jahren noch nicht, dass seine Frau nicht mehr für ihn kochte. Aber als es ihr immer schlechter ging, hörte er auf sie
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