Das Geheimnis Des Kalligraphen
Verpackung einer Lüge war.
Erst ein Jahr später sollte er den wahren Zusammenhang erfahren und damit auch die Gewissheit, dass Sarah sich in diesem Fall vollkommen geirrt hatte.
Das Café war sein zweites Zuhause geworden. Lohn gab es nicht, aber das Trinkgeld war reichlich und machte am Ende des Tages mehr aus als der Lohn, den Salmans Vater als Schlossermeister verdiente. Oft bekam er es bei Bestellungen für die vornehmen Häuser des Viertels: Erfrischungsgetränke, kleine Gerichte, all das, was man für den kleinen Hunger oder unangemeldete Gäste brauchte – und Gäste meldeten sich in Damaskus selten an.
Die zwei anderen Laufburschen des Kaffeehauses mochten Salman nicht. Der ältere hieß Samih, er war ein verbitterter und verrunzelter Zwerg. Darwisch, der jüngere, war elegant, immer frisch gekämmt und rasiert. Er hatte einen ruhigen Charakter, einen weichen Gang und die sanfte Stimme einer Frau. Erst spät erkannte Salman, dass Darwisch freundlich wie eine Nonne tat, aber giftig wie eine Kobra war. Samih sagte, wenn man Darwisch die Hand gebe, solle man sich anschließend vergewissern, ob noch alle Finger dran seien.
Die zwei Mitarbeiter mussten nun die Bestellungen aus der Nachbarschaft sowie die Tische im Lokal mit Salman teilen. Aber sie konnten ihm nichts antun, weil sie von der Liebe ihres Brotgebers zu diesem knochigen jungen Mann mit den abstehenden Ohren wussten. Sie reimten sich ihre eigenen Geschichten zusammen, weshalb ihr Chefden Jungen so besonders behandelte, behielten sie aber für sich, denn sie kannten Karam und seine Gnadenlosigkeit.
Aber beide hörten nicht auf – bis Salman im Herbst 1955 das Café verließ –, ihn zu ärgern und ihm Fallen zu stellen, damit nicht er die besseren Kunden bedienen konnte, die reichlich Trinkgeld spendierten.
Für Salman aber spielte das keine Rolle, denn er erregte bei jedem Gast genug Mitleid und da er zudem die Höflichkeit und Freundlichkeit in Person war, wurde auch der knauserigste Geizkragen bei ihm weich und gab Trinkgeld.
Was die beiden aber besonders ärgerte, war das Privileg, das Salman bereits nach einer Woche erhielt. Er durfte zu Karam nach Hause. Ein- oder zweimal in der Woche beauftragte ihn sein Chef, Dinge für ihn zu besorgen und sie ihm nach Hause zu bringen.
Karam wohnte in einer grünen Gegend nahe dem Berg Qassiun, der im Nordwesten der Stadt über Damaskus wacht. Gepflegte Gärten mit Obst, Myrthe und Kaktusfeigen umgaben die wenigen Häuser. Karams Haus lag nicht weit vom Chorschidplatz, den man aber nur »Platz der Endstation« nannte, weil hier die Endstation der Straßenbahn war.
Apfel-, Aprikosen- und Myrthebäume füllten eine Hälfte von Karams Garten, Kaktusfeigen und Rosen bildeten einen dichten Sichtschutz entlang der Zäune und selbst im Haus hörte man das Plätschern des Yasidflusses, aus dem Karam mit einer großen Handpumpe nach Belieben Wasser schöpfen konnte.
Karam hatte das Haus mit dem üppigen Garten von seiner kinderlosen Tante geerbt und wohnte allein darin.
Über einen schmalen, von Oleandersträuchern umgebenen Weg und drei Stufen gelangte man von der Gartentür zum Hauseingang, dessen Holztür ein Kunststück Damaszener Handwerker war.
Ein dunkler Korridor trennte das Haus in zwei Hälften und mündete am Ende ins Schlafzimmer. Auf der rechten Seite befanden sich eine große Küche und ein winziges Bad. Auf der linken Seite lagen das geräumige Wohnzimmer und eine helle Kammer mit einem Fenster zum Garten.
Das Schlafzimmer am Ende des Korridors war fensterlos. Es roch dort immer ein wenig modrig. Karam versuchte den Geruch stets mit diversen Duftwässerchen zu überdecken und machte damit alles nur noch schlimmer. Aber Karam mochte es ohnehin nicht, dass jemand dieses Zimmer betrat.
Das war Salman fremd. In der Wohnung seiner Eltern gab es eine solche Trennung nicht. In jedem Zimmer wurde gebadet, gekocht, gewohnt und geschlafen.
»Mein Schlafzimmer ist mein Tempel«, hatte Karam einmal gesagt. Und in der Tat roch es dort manchmal nach Weihrauch. Der ältere Diener im Café, Samih, behauptete, es sei kein Weihrauch, sondern Haschisch, das Karam nachts in Unmengen rauche.
Eines Tages, als Salman Besorgungen für Karam zu ihm nach Hause bringen sollte, und er allein dort verweilte, trieb ihn die Neugier ins Schlafzimmer. Ein großes Doppelbett aus dunklem Holz war das Herzstück des ansonsten langweiligen Raumes. Aber über dem Bett hatte Karam einen kleinen Altar mit Fotos aufgebaut. Als
Weitere Kostenlose Bücher