Das Geheimnis Des Kalligraphen
Fluss, um Flieger auf andere Gedanken zu bringen.
Benjamin war an diesem Tag besonders schlecht gelaunt, weil er am Morgen erfahren hatte, dass seine Kindheit zu Ende war: Er sollte in Kürze seine Cousine heiraten. Benjamin hasste diese Cousine, aber sie hatte viel geerbt und sein Vater wollte endlich seine Schulden bezahlen.
Salman wusste jedoch von all dem nichts, nur dass Benjamin gereizt war und ihn bedrängte zu rauchen. Als er ablehnte, wurde Benjamin sehr laut und giftig: »Ich kann Jungen nicht ausstehen, die nicht mitmachen. Das sind die Petzer. Du wolltest letzte Woche nicht um die Wette onanieren und heute nicht rauchen. Du bist ein Feigling, ein stinkiger kleiner Furz.« Salman war den Tränen nahe, denn er spürte, dass er seinen einzigen Freund verlor.
In diesem Moment hörte er Flieger wie verrückt bellen.
Der Fluss führte in jenem Frühjahr Hochwasser, und das kleine Rinnsal hatte sich in eine reißende Flutwelle verwandelt, die über die Ufer trat und unzählige Bäume und Hütten mit sich gerissen und eine Brücke bei den großen Aprikosengärten der Abbani-Familie zerstört hatte.
Beunruhigt sprang Salman auf und sah, wie Flieger verzweifelt kämpfte, um ans Ufer zu kommen. Er hielt den Arm eines Ertrinkenden im Maul und schwamm schräg, um die starke Strömung zu umgehen. Dabei entfernte er sich jedoch immer mehr. Salman schrie nach Benjamin und rannte los. Hinter der zerstörten Brücke zerrte Flieger einen kleinen ohnmächtigen Mann ans Land. Als Salman ankam, stand der Hund im seichten Wasser und wedelte mit dem Schwanz. Der Mann lag auf dem Rücken. Er schien am Kopf verletzt zu sein.
»Komm, hilf mir«, schrie Salman Benjamin zu, der in einiger Entfernung angehalten hatte und die Szene beobachtete. »Lass uns gehen, der Mann ist tot und wir bekommen nur Scherereien«, rief Benjamin zurück. Salman fühlte Wut in sich aufsteigen: »Komm, hilf mir, du Trottel. Er lebt noch!«, schrie er verzweifelt. Flieger sprang um ihn herum und bellte, als würde auch er Benjamin zu Hilfe rufen, dochder war schon spurlos im Dickicht der Trauerweiden verschwunden, deren Zweige wie ein grüner Vorhang bis zum Wasser herunterhingen.
Es blieben die letzten Worte, die Salman mit Benjamin wechselte. Er mied später, bitter enttäuscht, jede Begegnung mit ihm und erfuhr nur noch, dass Benjamin seine Cousine geheiratet hatte und mit ihr nach Bagdad gezogen war. Aber das war erst zwei, drei Jahre später.
Salman zog den Mann also allein ins Trockene und versuchte ihn wieder zum Leben zu erwecken. Er klopfte ihm auf die Brust und klatschte ihm mit der Hand auf die Wangen. Plötzlich öffnete der Mann die Augen und hustete. Er schaute Salman und Flieger verwirrt an. »Wo bin ich? Wer seid ihr?«
»Sie waren im Fluss, der Hund hat Sie gerettet. Er kann wunderbar schwimmen«, sagte Salman aufgeregt. »Sie wären fast ertrunken!«
»Ich bin ein Pechvogel. Man hat mich erwischt und wollte mich töten.«
Karam, so hieß der gerettete Mann, erzählte noch Jahre später in seinem Café, er habe zwei Leben, das erste verdanke er seiner Mutter, das zweite Salman und Flieger.
Von diesem Tag an arbeitete Salman sieben Tage in der Woche bei Karam, der ein schönes kleines Kaffeehaus im vornehmen Suk-SarujaViertel besaß.
Karam verriet nie, weshalb man ihn bewusstlos geschlagen und in den Fluss geworfen hatte. Salman erfuhr nur von einem der Bediensteten im Café, dass es sich um eine Affäre gehandelt habe.
»Das heißt«, sagte ihm die wie allwissende Sarah, »dahinter steckten eine Frau und mehrere Männer, die deinem Geretteten nicht gegönnt haben, mit der Frau unter einer Decke zu liegen.«
»Wie, unter einer Decke?«, fragte Salman.
»Oh nein, sag mir nicht, du hast keine Ahnung, was Frauen und Männer in der Dunkelheit miteinander treiben«, empörte sich Sarah.
»Du meinst, sie haben sich geliebt und deswegen hat man Karam ins Wasser geworfen?«
Sarah nickte.
Salman konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Warum riskiert ein Mann sein Leben, um eine Frau zu lieben?
Er fand keine Antwort.
Als er Karam voller Sorge um sein eigenes Glück fragte, ob er die Frau wieder treffen würde, schaute ihn dieser mit großen Augen an.
»Frau? Welche Frau?«
»Wegen der Sie ins Wasser geworfen wurden«, sagte Salman und hatte plötzlich Sorge, dass Sarah sich vielleicht geirrt hatte.
Karam lachte seltsam: »Ach die, die treffe ich nie wieder«, sagte er, aber Salman erkannte an der Stimme, dass dies bloß die
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