Das Geheimnis Des Kalligraphen
nicht anwesend. Die Sitte verbot es, dass er seine Braut sah, bevor der religiöse Akt des Ehevertrags abgeschlossen war.
Nura bekam von der langen Zeremonie der Verlobung nicht viel mit. Da der Vater ihres Bräutigams bereits verstorben war, trat Hamids Onkel als Vertreter der Farsis auf. Er war mit seiner Frau am Vortag wieder aus Saudi-Arabien eingeflogen, und man flüsterte, er habe für diesen familiären Anlass das königliche Flugzeug nehmen dürfen, da er ja ein enger Freund des saudischen Königs war. Der Mann gab vor dem Scheich Nuras Vater die Hand und bestätigte den Willen seinesNeffen zur Heirat und übergab das vereinbarte restliche Brautgeld. Die Männer beteten kurz gemeinsam und dann sprach Scheich Nadir belehrende Worte über die Heiligkeit der Ehe.
Nura musste entfernt auf einem hohen thronähnlichen Stuhl sitzen, umgeben von Rosen, Basilikum und Lilien. Sie durfte nicht lächeln, denn das würde als Hohn, als Sarkasmus gegenüber der eigenen Familie gelten. »Wenn es dir möglich ist, solltest du laut weinen«, hatte die Mutter empfohlen. Nura bemühte sich, an traurige Szenen aus ihrem Leben oder aus Filmen zu denken, doch es fielen ihr nur Hochzeitskomödien ein. Sie musste mehrmals an sich halten, um nicht loszuprusten, wenn sie einen Gast sah, der sich so komisch verhielt wie in einer der billigen ägyptischen Filmklamotten.
Zu allem Übel brachte Onkel Farid sie immer wieder zum Lachen. Er stand mit einer Gruppe ganz in ihrer Nähe. Zum sechsten Mal war er inzwischen geschieden und rund wie eine Wassermelone. Ununterbrochen erzählte er Witze und seine Zuhörer lachten laut und ansteckend, schließlich bat ihre Mutter Onkel Farid, den Platz zu wechseln, um Nura Ruhe zu schenken.
Nura war dankbar, doch erst als sie die Augen schloss und an den hilflosen Jungen dachte, der beschnitten werden musste und erbärmlich weinte, begann sie zu weinen und hörte teilnahmslos die tröstenden Worte ihrer Mutter und der anderen Frauen.
Aus der Ferne drang die Stimme ihres Vaters zu ihr, der nun laut mit den anderen Männern die ausgewählten Zitate aus dem Koran sprach, um die Ehe zu segnen.
»Meine kleine Prinzessin«, sagte die Mutter mit vor Rührung verweintem Gesicht, als Nura die Augen öffnete, »das ist unser Schicksal. Frauen müssen immer ihr Elternhaus verlassen.«
Dann kam der Hennatag, wenige Tage vor der Hochzeit. Eine Unmenge Henna wurde gekauft und das Haus war voller Frauen aus der Verwandtschaft und Nachbarschaft. Alle feierten, tanzten und sangen. Sie färbten sich Hände und Füße mit der rötlichen Erde. Manche ließen sich geometrische Muster aufmalen, andere begnügten sich mit Farbtupfern auf Handflächen, Fingern und Füßen.
Und dann kam endlich der Hochzeitstag, an dem eine lange Prozessiondie neu erworbenen Sachen zum Haus des Bräutigams trug. Nuras Vater atmete erleichtert auf.
Mehr als zehn angesehene Männer des Midan-Viertels gingen langsamen Schrittes voran. Ihnen folgte ein hochgewachsener Mann in arabischem Gewand. Er hielt einen großen aufgeschlagenen Koran in die Höhe. Nach ihm kam ein kleiner, schön angezogener Junge, der das Kopfkissen des Bräutigams auf dem Kopf trug, gefolgt von einem anderen mit dem Kopfkissen der Braut. Nach ihnen kamen vier kräftige Burschen, die die neuen Matratzen und Betten trugen. Danach folgte eine Kolonne von sechs Männern, die jeweils zu zweit einen zusammengerollten Teppich schulterten. Danach schoben vier Männer einen Karren, auf dem zwei kleine Schränke und zwei Nachttische mit Seilen befestigt waren. Ein Mann von athletischer Gestalt trug vor sich einen großen gerahmten Spiegel, in dem die Häuser einen kurzen Tanz aufführten. Zehn weitere Männer waren mit Geschirr bepackt und sechs mit großen und kleinen Küchengeräten, andere folgten mit Stühlen und Hockern, Kissen, gefalteten Vorhängen und Bettwäsche. Allein Nuras Kleider, in große bunte Bündel gepackt, mussten sechs Burschen tragen.
Im Haus des Bräutigams wurde die Prozession von Verwandten und Freunden mit Jubel, Gesang und Erfrischungsgetränken empfangen.
Die Träger bekamen von Nuras Vater reichlich Lohn für ihre Hilfe, küssten ihm die Hand und zogen fröhlich singend davon.
Nura wurde noch einmal von der Friseuse aufgesucht, die ihren Körper überprüfte und da und dort noch kleine Haare auszupfte, die der ersten Enthaarung entkommen waren, anschließend massierte sie Nuras Körper mit einem stark duftenden Jasminöl. Und dann schlüpfte
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