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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Lappen.«
    »Du musst ihn in der Hochzeitsnacht leerpumpen, denn nicht beim ersten Erguss, sondern beim letzten ist sein Herz in deiner Hand. Er wird von nun an dein Sklave sein. Ist er in der Hochzeitsnacht nicht zufrieden, wird er dein Herr und ein Freund der Huren.«
    So redeten sie auf Nura ein, als wäre sie auf dem Weg zu einem Feind. Warum sollte sie ihn so behandeln, damit er so erschien, wie er nicht war, weil sie nicht so war, wie sie sich gab?
    Nura hörte nichts mehr. Sie fühlte, wie sich die Frauen und der Raum zu drehen begannen, als würde sie auf einer Drehscheibe stehen. Ihre Knie sackten unter ihr weg, doch die Frauen hielten sie an den Armen, setzten sie auf eine Bank und redeten weiter ununterbrochen auf sie ein. Aber Nura versuchte einen Tunnel durch den Lärm der Frauen zu schaufeln und durch ihn zu hören, was die Leute draußen im Innenhof machten. Plötzlich hörte sie ihren Vater nach ihr rufen.
    Irgendwann klopfte jemand an der Tür, es war ihr Vater. Nura schob die Frauen weg und bahnte sich einen Weg an die frische Luft. Ihr Vater lachte sie an. »Wo warst du? Ich habe dich gesucht.«
    »Ich dich auch«, flüsterte Nura und weinte an seiner Schulter. Bei ihm war sie sicher. Dagegen spürte sie, wie ein Hass gegen die Mutter in ihr aufstieg, die sie im Stich gelassen hatte. Der Müll, den die alten Frauen von sich gegeben hatten, blieb Wort für Wort lange Jahre in ihrem Gedächtnis kleben.
    Mitten im Hof tanzten Frauen mit bunten Kerzen. Ihre Mutter war mit Anweisungen beschäftigt, und Nura stand eine Weile wie verloren herum. Da hörte sie draußen auf der Gasse Lärm. Eine ferne Cousine des Bräutigams nahm sie an der Hand. »Komm mit!«, sagte sie, und bevor sie es sich versah, war Nura in einem dunklen Zimmer. »Wir machen jetzt etwas Verbotenes«, flüsterte sie, »gib acht.« Sie ging zum Fenster und lupfte den schweren Vorhang. Da sah sie Hamid zum ersten Mal. Er war schön anzusehen in seinem europäischen weißen Anzug, wie er in einer Gruppe von Fackelträgern und Schwertspielern auf das Haus zuschritt.
    Seit ihrer Verlobung war Nura neugierig gewesen, ihn einmal zu sehen. Sie wusste von ihrer Mutter, wo sein Atelier lag, doch machte sie einen großen Bogen, weil sie Sorge hatte, er würde sie erkennen. »Männer mögen am allerwenigsten neugierige Frauen. Das verunsichert sie«, hatte ihre Mutter gesagt. Das Foto, das ihre Mutter über Umwege und heimlich besorgt hatte, sagte nicht viel aus. Es war einGruppenfoto bei einem Picknick. Man sah Hamid nur schemenhaft in der hintersten Reihe.
    Der feierliche Zug stockte, und in diesem Augenblick stand er so nahe am Fenster, dass sie sein Gesicht hätte berühren können, wenn sie das Fenster aufgemacht hätte. Er war nicht groß, aber von stolzer athletischer Haltung und viel schöner und männlicher als alle Beschreibungen. »Die Fackeln machen alle Männer schöner«, hörte sie die Stimme der Frau neben sich, aber Hamid erschien ihr in dieser Minute wie ein Prinz.
    Alles sah so unwirklich aus im Licht der Fackeln.
    »Jetzt musst du hinaus und dich auf den Thron setzen«, sagte die Frau, als die Prozession die Haustür erreichte und mit Jubeln und Trillern empfangen wurde. Nura schlüpfte zur Tür hinaus und lief geradewegs in die Arme ihrer Mutter. »Wo warst du die ganze Zeit?«, knurrte sie.
    In dem Moment betrat Hamid das Haus und erfasste sie sofort mit seinem klugen Blick. Sie errötete. Er schritt sicher auf sie zu, und sie sah zu Boden. Und dann nahm er sie an der Hand und ging mit ihr ins Schlafzimmer.
    Hamid redete beruhigend auf sie ein. Er habe sie allein vom Hörensagen gemocht, und nun sei sie viel schöner, als er je erwartet habe. Er werde sie glücklich machen. Sie solle ihm gehorchen, ihn aber nicht fürchten.
    Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und näherte sich ihr so, dass sie ihm in die Augen schauen musste. Da küsste er sie erst auf die rechte Wange und dann auf die Lippen. Sie blieb still, aber ihr Herz raste. Er roch nach Lavendel und Zitronenblüte. Sein Mund schmeckte ein wenig bitter, aber der Kuss war angenehm. Dann ließ er sie allein und ging ins Bad.
    In diesem Augenblick kamen ihre Mutter und die Nachbarin Badia ins Zimmer, als hätten sie vor der Tür gestanden. Sie nahmen ihr das schwere Hochzeitskleid und den Schmuck ab, gaben ihr ein schönes seidenes Nachthemd, ordneten das Bett und verschwanden. »Denk daran, wir haben es alle hinter uns und leben noch«, sagte Badia sarkastisch und lachte

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