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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Damaskus Geld bedeutet.
    Die Gesellen Radi und Said fanden Karams Café zu teuer. Sie aßen täglich mit den Helfern Ali und Basem in einer schmuddeligen, aber billigen Garküche in der Nähe. Nur Mahmud aß den ganzen Tag nichts. Er war ein großer Mann, der ununterbrochen rauchte. Er finde keine Freude am Essen und würde sich am liebsten vom Rauchen ernähren, lautete seine Begründung.
     
    An einem Donnerstag wurde Salman mitgeteilt, er solle abends auf Hamid warten. Gegen achtzehn Uhr schloss er das Atelier und ging vor Salman so schnellen Schrittes durch die Straßen, dass Salman kaum mithalten konnte. Die Strecke führte vom Suk Saruja zur Zitadelle und von dort durch den Suk al Hamidije in Richtung Omaijaden-Moschee. Wollte er ihm mit diesem Dauerlauf beweisen, wie kurz die Strecke war? Gerade als Salman darüber nachgrübelte, rutschte der Meister aus. Er hatte in die Bimaristanstraße einbiegen wollen und war von der glatten Basaltsteinkante des Bürgersteigs abgeglitten. Es war merkwürdig für Salman, seinen großen Meister so hilflos zwischen den Beinen der Passanten zu sehen. War Hamid vielleicht ausgerutscht, weil er ihm das gewünscht hatte?
    »Oh, diese Verfluchten«, rief der Meister, und niemand wusste, wen er damit meinte. Ein Getränkeverkäufer half ihm aufstehen und bot ihm ein Glas kaltes Wasser. Der Meister lehnte es schroff ab und ging, nun bedeutend langsamer, durch die Bimaristanstraße, vorbei an dem berühmten Bimaristan-Krankenhaus aus dem zwölften Jahrhundert. Er blutete am Knie und seine Hose war an der Stelle zerrissen, aber Salman wagte nicht, ihn darauf aufmerksam zu machen. Er folgte ihm in die Mahkamagasse, mit den vielen bunten Läden, die in die Schneidergasse mündete, die Salman gut kannte, weil er einem Schneider im christlichen Viertel oft Bestellungen gebracht hatte. Die Schneidergasse mündete direkt in die Gerade Straße.
    Die Gasse, in der sein Meister wohnte, ging von der Geraden Straße ab. Ihr gegenüber begann die Judenstraße, ging man aber geradeaus auf der Geraden Strasse weiter, erreichte man das christliche Viertel. Nicht einmal hundert Meter vom Eingang der Gasse entfernt lag die römisch-orthodoxe Kirche der heiligen Maria und der römische Bogen. Salmans Gasse lag etwa fünfhundert Meter vom Haus des Meisters entfernt.
    »Hier ist es. Du klopfst dreimal und bleibst hier stehen«, sagte Hamid Farsi vor einem schönen Haus und zeigte auf den bronzenen Klopfer. »Dann händigt dir meine Frau das Mittagessen und du ihr das leere Gefäß vom Vortag aus«, sagte er und öffnete die Haustür, die wie alle Haustüren nur angelehnt war.
    »Und noch etwas«, sagte Hamid, »niemand darf meine Adresse erfahren, weder deine Familie noch Samad. Hast du verstanden?«, fragte er und wartete nicht auf die Antwort, sondern verschwand ohne Abschied hinter der Tür, die er von innen verriegelte.
    Salman atmete auf. Er wollte nun gründlich den Weg erkunden, denn er hatte nach dem Sturz des Meisters nicht mehr aufgepasst. Er kehrte also zurück und prüfte Gasse für Gasse die Strecke bis zum Atelier. Er brauchte genau zwanzig Minuten, kam dabei aber ins Schwitzen.
    Am Samstag, dem ersten Arbeitstag der muslimischen Woche, wachte er sehr früh auf. Ein warmer Herbsttag kündigte sich an. Sein Vater schlief noch, und seine Mutter wunderte sich. »So früh? Verliebt? Oder wohnt jetzt ein Wecker in deinem Herzen?«
    »Heute soll ich zum ersten Mal das Essen vom Haus des Meisters ins Atelier bringen. Seine Frau wird mir die Matbakia übergeben, und ich habe doch noch nie eine muslimische Frau so aus der Nähe und in ihrem Haus erlebt.«
    »Muslimisch, jüdisch oder christlich. Was macht das schon? Du wirst die Frau nicht aufessen. Nur die Matbakia abholen und deinem Meister bringen. Mach dir nicht so viele Gedanken, mein Herz«, sagte sie und küsste ihn auf beide Augen.
    Um elf Uhr verließ er das Atelier und ging zu Karam, trank einen Tee und verabschiedete sich schnell. Karam hielt ihn am Arm. »Du bist so nervös. Ich glaube, du wirst dich heute verlieben«, sagte er und streichelte Salman über die kurzen Haare.
    Salmans Herz pochte laut, als er vor Hamid Farsis Haus stand. Er holte tief Luft, klopfte einmal und sagte leise: »Guten Tag.« Und als er Schritte hörte, lauter: »Hallo, guten Tag, Herrin ... oder Madame?«
    Ein schönes knabenhaftes Gesicht erschien im Türspalt. Die Frau war nicht verschlossen und abweisend. Sie war modern angezogen und hatte keine üppigen

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