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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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charmante Worte bei. Er sagt nie was!« Als sich Hamid für den abschließenden Kaffee bedankte, fasste sie ihn kräftig am Bein, was nicht einmal Nura erlaubt war, aber er lächelte die Mutter nur an. Nura hätte schreien können vor Wut.
    »Du bist eine Verräterin«, zischte sie ihre Mutter in der Küche an und hasste das dämliche Lächeln, das das Gesicht ihrer Mutter entstellte. Sie schien in einer anderen Welt zu sein.
    »Deine Mutter hat ein gutes Herz, sie macht sich Sorgen um dich«, sagte Hamid draußen auf der Gasse zu ihr. Nura hatte das Gefühl, sie müsse ersticken.
    »Hallo Nura«, rief Elias, der Süßigkeitenverkäufer, »grüßt du mich nicht mehr?« Nura schämte sich, dass sie den alten, inzwischen zahnlosen, aber immer noch lustigen Mann übersehen hatte.
    »Onkel Elias, guten Tag«, erwiderte Nura und lächelte.
    »Der Herr Kalligraph hat den schönsten Buchstaben unseres Viertels entführt, und so wurde unser Alphabet löchrig. Möchte er seiner Prinzessin ein Kilo gemischte Pralinen kaufen? Oder vielleicht Usch al Bulbul , Nachtigallennester, oder, wenn es beliebt, die besten Barasek , Butterkekse mit Sesam und Pistazien? Eben all das, was schönen Frauen das Herz erweicht?«
    Elias sprach, wie die Mehrheit der Damaszener Händler spricht, verführerisch, im Singsang, und dabei ließ er seine Augenbrauen tanzen.
    »Nein, wir brauchen keine Süßigkeiten«, antwortete Hamid schmallippig und ging weiter. Und Nura konnte Elias nur noch einen entschuldigenden Blick zuwerfen, dann rannte sie ihrem Ehemann hinterher.
    In jener Nacht, lange bevor er Anfang 1956 begann, jeden Freitagmittag in die Moschee zu gehen, verbot Hamid ihr, das Haus jemals ohne Kopftuch zu verlassen. Er verbot ihr auch, unter Androhung der Scheidung, auf der Straße mit christlichen Männern zu sprechen. Hamid war wie betrunken. Er zitterte am ganzen Leib, und die Worte kamen gepresst aus seinem Mund.
     
    »Was ist passiert?«, fragte Nachbarin Widad, als Nura ihr von ihrer Langeweile erzählte. »Was willst du denn? Selbst ein Wunder, das sich 365 Mal im Jahr wiederholt, verliert seinen Glanz. Nach fünf Jahren wirst du ihn nur noch als Bruder empfinden. Unsere Männer können nichts dafür. Die Zeit schabt das Schillernde eines jeden Bräutigams weg und lässt nur eine spröde Masse namens ›Ehemann‹ und ›Vater meiner Kinder‹ zurück.«
    Widad trank heimlich, um Lust auf ihren Mann empfinden zu können, und im Rausch verwandelte sie ihn in einen wilden, nach ihrem Körper hungernden Siebzehnjährigen.
    Samia, eine junge Nachbarin aus dem Norden, erzählte, sobald ihr Mann, ein Lehrer und Grobian, sie berühre, fahre sie aus ihrem Körperund wandere weit weg. Sie sei darin inzwischen Meisterin geworden, so dass sie nicht einmal spüre, ob ihr Mann noch bei ihr oder bereits eingeschlafen sei.
    Das wollte Nura auch ausprobieren. Während ihr Mann hinter ihr lag und in sie drang, schloss sie die Augen und löste sich von ihrem Körper, wanderte im Schlafzimmer umher und beobachtete sich im Bett. Anschließend ging sie in die Küche, trank Kaffee und dachte an eine Geschichte aus ihrer Kindheit. Als sie das Nudelholz auf dem Tisch sah, mit dem sie an dem Tag gefüllte Teigtaschen gemacht hatte, kam ihr plötzlich der Gedanke, sie könnte es nehmen und ihrem Mann in den Hintern stecken. Und schon sah sie seine erschrockenen Augen vor sich und prustete los vor Lachen.
     
    Nach einem Jahr sprach Hamid nicht mehr mit ihr. Alles lief reibungslos nach seinen Vorstellungen, und er schien zufrieden zu sein. Manchmal hörte sie ihn mit anderen telefonieren und beneidete die Gesprächspartner, die sein Interesse erregen konnten. Wenn sie ein Thema anschnitt, würgte er das Gespräch ab. »Klar, so ist es« oder »Das ist Weiberquatsch«, sagte er dann. Sie fand immer weniger Zugang zu ihm.
    Dalia, der sie von ihrem Kummer erzählte, zuckte nur mit den Schultern. »Das hört sich an, als würdest du von den Männern meiner Kundinnen reden. Irgendwie ist das System der Ehe nicht ausgereift, obwohl wir es schon seit Adam und Eva proben«, sagte sie und nahm einen kräftigen Schluck Arrak. »Man sollte die Ehe nur für sieben Monate erlauben, danach müssten alle den Partner wechseln. So hätte die Langeweile keine Chance.« Machte sie Witze? Nura war es nicht nach Witzen zumute.
     
    Sie gewöhnte sich an das Kopftuch. Immerhin durfte sie, den Kopf wie zu einem Ei eingeschnürt – wie ihr Vater scherzte –, das Haus verlassen,

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