Das Geheimnis Des Kalligraphen
du krank?«
Nura antwortete nicht. Schon waren sie bei der Wahrsagerin angekommen.Nura fühlte eine große Angst in sich aufsteigen, als sie das Zimmer betrat. Alles war schwarz verhüllt und roch nach Hühnerdreck und ranzigem Fett.
Die Hellseherin war klein und hässlich. Sie trug ein fleckiges schwarzes Kleid und viele silberne Klunker um den Hals, die bei jeder Bewegung Geräusche machten.
Nachdem Nariman sich verabschiedet hatte, legte die Zauberin Karten und schaute Nura immer wieder mit kleinen scharfen Augen an. »Dein Herz hat sieben Siegel. Dein Mann liebt dich, aber er hat nicht die geeigneten Schlüssel gefunden. Du musst ihm helfen. Sieben Pulver soll er sieben Tage lang einnehmen, und zu jedem dieser Pulver musst du einen von sieben Zetteln mit Sprüchen verbrennen. Und diese sieben Bleistücke legst du ihm unter das Kopfkissen.«
Sie verlangte fürs erste drei Lira. Das war viel, aber wenig, wenn es helfen würden.
Nach ein paar Tagen bekam ihr Mann fürchterlichen Durchfall und beschwerte sich über den fremden Geschmack der Gerichte. Das war alles, was er sagte.
Nura suchte – nun allein – die Zauberin noch einmal auf, um ihr von einem merkwürdigen Traum zu berichten. Am vierten oder fünften Tag der »Behandlung« ihres Mannes mit Pulver und Sprüchen hatte sie von Omar, dem Gemüsehändler, geträumt. Er war ein kräftiger Mann mit einer immer glänzenden Glatze. Sein Gemüsegeschäft lag auf der Geraden Straße. Er war kein schöner Mann, aber er besaß unwiderstehlichen Charme. Sie sah ihn im Traum eine Aubergine polieren. Als er sie anlachte, merkte sie, dass sie nackt war. Er legte sie auf einen Jutesack, bedeckte ihren Körper mit Rosenblättern und schnitt mit einem großen Messer eine Wassermelone auf, riss ein riesengroßes Stück Fruchtfleisch heraus und schob es zwischen seinen und ihren Mund. Und während sie aß, spürte sie, wie er in sie drang, und sie aß weiter, bis das letzte Stück auf ihren nackten Bauch fiel, und Omar beugte sich über sie und schlürfte die Stücke in sich hinein und stieß sie, dass ihr vor Lust die Sinne vergingen.
Sie sei in heiterster Stimmung aufgewacht.
Als sie der Hellseherin diesen Traum erzählte, sagte diese: »Dannhat mein Zauber den Richtigen getroffen, der die Schlüssel zu deinen Schlössern hat.«
Das kam ihr sehr albern vor, und sie beschloss, die Hellseherin in Zukunft zu meiden. Beim Hinausgehen traf sie eine Frau, die eine Freundin bis zur Haustür der Zauberin begleitete, das Haus aber selbst nicht betreten wollte.
»Sie ist eine Scharlatanin. Sie lebt wie eine Made im Unglücksspeck vieler Frauen«, sagte die Fremde. Nura war fasziniert von ihren Worten. Sie wollte mehr hören, um sich zu trösten, und lud sie zu einem Eis ein. Auf dem Weg zum Eissalon erzählte Safije – so der Name der Frau – von ihrem glücklichen Leben mit ihrem Mann, den sie Tag für Tag mehr liebte und an dem sie Tag für Tag neue Seiten entdeckte. Sie war Lehrerin und er Schlossermeister. Vor der Ehe hatten sie sich nur kurz gekannt, und doch war er vom ersten Tag an liebevoll gewesen und in den zehn Jahren ihrer Ehe noch zärtlicher geworden.
Safije sprach viel an diesem Vormittag, und Nura hörte aufmerksam zu. Es war für sie spannender, als ein Märchen zu hören, dass es in Damaskus glückliche Paare gab. Beim Abschied tauschte sie mit Safije die Adressen und versprach, sie zu besuchen.
»Ich glaube«, sagte Safije beim Abschied, »ein Teil des Unglücks liegt darin, dass du deine Fähigkeiten nicht nutzen darfst. Du bist eine intelligente Frau, du solltest etwas tun, das dich erfüllt, und nicht den ganzen Tag auf deinen Mann warten.«
Aber Hamid reagierte mit einem Wutanfall, als sie ihm vorsichtig andeutete, sie wolle als Schneiderin arbeiten. In der Gasse gebe es niemanden, der diesen notwendigen Beruf ausübe. Er brüllte sie an und wollte sofort wissen, wer ihr diese Idee in den Kopf gesetzt habe.
Sie schwieg.
Mehrmals besuchte sie in den nächsten Wochen Safije und überzeugte sich davon, dass die Frau nicht übertrieben hatte. Einmal war ihr Mann bei einem dieser Besuche zu Hause, weil er sich einen Tag zuvor bei der Arbeit die Hand verletzt hatte. Er war freundlich und ließ beide allein, kochte aber Kaffee für sie und lachte, als seine Frau nach dem ersten Schluck fragte, ob Kaffee inzwischen Mangelware sei. FürNura war es der erste Mann, den sie je erlebt hatte, der Kaffee für seine Frau kochte.
Das Glück der anderen
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