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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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hatte sich diese Ecke ihres Herzens mit den Gedanken an die Demütigung gefüllt und auch mit einem besonderen Geruch, den sein Körper verströmte: verbranntes Gummi. Sein früherer Körpergeruch verblasste zu einer Erinnerung.
    Ein merkwürdiges Gefühl befiel sie, wenn er nach Hause kam. Eiseskälte füllte die Räume, sie fror und fühlte sich wie gelähmt. Sie erinnerte sich an einen Film, bei dem sie im Kinosaal gefroren hatte, als in Sibirien ein Zug am Gleis festgefroren war. Alle Fahrgäste waren erstarrt und Eis bedeckte ihre Augen. Für kurze Augenblicke fühlte sie ein Feuer in sich, als wollte ihr Herz Dampf machen, um ihre Glieder aus der Vereisung zu retten, aber dann merkte sie, wie das Feuer erlosch – und wie die Kälte, die ihr Mann ausstrahlte, in sie drang.
    Hamid pflegte sich sorgfältig, duschte täglich und cremte seineHände mit einer Mischung aus Oliven- und Lavendelöl ein, damit sie immer glatt und geschmeidig blieben – für die Kalligraphie natürlich.
    Jener Tag begann mit einer Katastrophe. Ein großes Glas, bis zum Rand gefüllt mit den aufwendig eingelegten und mit Walnüssen gefüllten Miniauberginen, war ihr aus der Hand geglitten und auf dem Boden in tausend Splitter zerbrochen. Dielen und Schränke in der Küche waren voller Olivenöl. Sie musste aus Angst vor winzigen Glassplittern alles wegwerfen und die Küche zwei Stunden lang säubern.
    Erschöpft kochte sie für ihn sein Lieblingsgericht, Linsensuppe mit Nudeln, schickte es in der Matbakia zu ihm und ruhte sich eine halbe Stunde lang aus.
    Als die Nachbarin Warde sie zu einem kleinen Fest einlud, freute sich Nura, sie dachte, der Tag sei gerettet. Sie ahnte nicht, dass die wahre Katastrophe nun ihren Anfang nahm. Sie verdarb sich bei Warde mit einer süßen Milchreisspeise den Magen und erbrach sich am Abend drei Mal. Sie fühlte sich elend und kraftlos.
    Aber Hamid hatte kein Verständnis. »Ich habe heute Lust auf dich«, sagte er und griff nach ihrem Hintern, als sie ihm den Salat servierte.
    Als sie ihm von ihrer Schwäche und ihren Bauchschmerzen erzählte, winkte er ab: »Du kannst den ganzen Tag über krank sein, aber nicht in der Nacht von Dienstag, Freitag und Sonntag«, sagte er und lachte breit. »Das ist mein Recht. Hat dir dein gelehrter Vater nicht vorgelesen, dass Gott mir all das erlaubt?«
    Sie wollte ihm sagen, dass ihr Vater niemals unter Zwang mit ihrer Mutter schlief. Aber die Zunge gehorchte ihr nicht. Tränen schossen ihr in die Augen.
    Im Bett hatte sie Angst vor ihm, Angst um ihr Leben, die sie erstarren ließ. Er wurde zornig: »Schlafe ich mit einer Leiche?« Sie fühlte eine Wut gegen ihn wie noch nie. Als sie ihn von sich wegschieben wollte, schlug er sie. Er war wie im Rausch und schlug erbarmungslos auf sie ein. Sie erschrak so sehr, dass sie nicht einmal weinen konnte.
    In dieser verzweifelten Situation erinnerte sich Nura an den Rat ihrer Mutter, stets laut zu sagen, was Männer hören mochten, und sie fing an, sich zu winden und zu stöhnen und nach mehr zu verlangen.Und genau das schien ihm zu gefallen. Als er endlich fertig war, schlief er ohne ein weiteres Wort ein.
    Sein Schweiß klebte an ihr und roch nach verbranntem Gummi. Sie stand auf und schlich in die Küche, wo sie ihre Haut mit Wasser und Kernseife so lange abrieb, bis sie wehtat.
    Von da an drang dieser besondere Geruch durch alle Parfums, die Hamid benutzte, und jedes Mal erinnerte er Nura an jene schreckliche Nacht.
     
    Immer wenn man sie nicht gebrauchen konnte, kam Nuras Mutter und wisperte ihre ungebetenen Ratschläge. Eine Schlange. Nura fühlte keinen wirklichen Hass mehr gegen ihre Mutter wie früher, sondern eine tiefe Verachtung. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass ihre Mutter sich in Hamid verliebt hatte. Wo immer sie ihn sah, himmelte sie ihn an, berührte ihn zärtlich und stimmte jedem Blödsinn zu, den er von sich gab.
    »Der Mann ist die Krone deines Hauptes und du sollst ihm dienen, seine Füße waschen und dann das Wasser trinken als Gabe des Himmels! Die hochmütigen Frauen enden in der Gosse, Tochter.«
    Nura drehte das Radio so laut, dass ihre Mutter ohne Abschied das Haus verließ. Sie wollte ihre Eltern für längere Zeit nicht sehen, aber Hamid nahm die Einladung ihres Vaters an, an einem Freitag zum Mittagessen zu kommen. Es war eine Woche vor Neujahr. Das Essen war exzellent, und Hamids Lobeshymnen nahmen kein Ende. Ihre Mutter schaute ihn verliebt an: »Bring deinem Schwiegervater solch

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