Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
ein Auftritt?«, fragte Suzan neugierig, kaum dass Hori und seine Begleiterin das Lokal verlassen hatten. »Ich hätte nie gedacht, dass Sie so zickig werden können. Ich will nicht indiskret sein, aber war das der junge Mann, der Sie so enttäuscht hat?«
»Nein, sein Bruder«, knurrte Grace.
»Und warum sind Sie zu ihm so unfreundlich? Er schien sich doch ganz offensichtlich um Sie zu sorgen.«
»Ich will die Sache vergessen. Basta!«
»Und trotzdem haben Sie seine Karte zuhause?«
Grace stöhnte laut auf. »Nein, die habe ich längst weggeworfen, und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich jetzt mit diesem Thema in Ruhe ließen.« Dann verfiel Grace in grüblerisches Schweigen, bis sie sich selbst laut murmeln hörte: »Da ist er doch tatsächlich mit dieser Lucy zusammen.«
Suzan räusperte sich.
»Ich hätte kein Wort mehr darüber verloren, aber nun haben Sie freiwillig davon angefangen.«
Grace blickte erschrocken auf. »Das war nur für meine Ohren bestimmt.«, entgegnete sie trotzig.
»Aber Sie haben es so laut gesagt, dass ich es auch verstanden habe. Wer ist mit Lucy zusammen? Der Mann, der Sie enttäuscht hat, oder sein Bruder?«
»Der Bruder.«
»Wissen Sie, was ich denke?« Suzan aber wartete gar nicht erst eine Antwort von Grace ab, sondern sie fügte eilig hinzu: »Sie sind eifersüchtig.«
»Und wenn, dann wüsste ich nicht, was Sie das angeht«, erwiderte Grace schnippisch. Da war sie wieder. Diese innere Stimme, die sie davor warnte, sich allzu privat auf Suzan Almond einzulassen. Diese Frau besaß die seltene Gabe, sie zu durchschauen, denn natürlich hatte es sie geärgert, Hori so vertraut mit Lucy zu treffen. Aber warum musste Suzan auch immer gleich alles aussprechen, was sie dachte? Schließlich kannten sie einander noch nicht einmal zwölf Stunden. Grace hielt viele Menschen, die sie bereits seit ewigen Zeiten kannte, mehr auf Distanz als diese Frau, die ganz ungezwungen die persönlichsten Angelegenheiten ansprach. Doch beruhte das nicht auf Gegenseitigkeit? Hatte sie Suzan nicht vor wenigen Minuten peinlicherweise gesagt, sie würde sie gern als ihre neuseeländische Familie adoptieren? Das war ansonsten gar nicht ihre Art, Fremden dermaßen nahezutreten.
Grace blickte Suzan schuldbewusst an.
»Es tut mir leid, dass ich Sie so angefahren habe. Es verunsichert mich, dass Sie mir offensichtlich auf den Grund meiner Seele schauen können. Mir gefällt die Rolle der geheimnisvollen Frau, die keiner wirklich kennt, wesentlich besser.«
»Ist das die Rolle, die Sie sonst spielen?«
»Suzan! Sie sind unmöglich. Sie fangen ja schon wieder an, intime Fragen zu stellen.«
»Wollte ich nicht. Wissen Sie, um ehrlich zu sein, ich lebe völlig zurückgezogen, seit die Sache passiert ist ...«
Grace horchte auf. Die Sache? Warum nur war sie so schrecklich neugierig, was sich hinter der Sache verbarg?
»Seit damals lasse ich kaum einen Menschen - außer meinen Mitarbeiterinnen - überhaupt an mich heran. Das liegt weniger daran, dass die Menschen immer gleich zu spekulieren beginnen, warum ich wohl entstellt bin, sondern daran, das die meisten mich nicht interessieren. Und da kommen Sie plötzlich daher, und ich will Sie unbedingt näher kennenlernen. Das ist doch seltsam, oder? Sehen Sie mir also bitte nach, wenn ich im Umgang mit persönlichen Dingen ein wenig ungeübt sein sollte.«
»Ich bin ja nicht ganz unschuldig daran. Ich fühle mich Ihnen auch merkwürdig vertraut. Das rührt wahrscheinlich von Ihrer Geschichte her, die Sie mir in wohl gewählten Portionen servieren. Ich habe das Gefühl, Sie sind ein Teil dieser Geschichte, und immer, wenn Sie dann real werden und damit wirkliche Nähe zwischen uns entsteht, dann kommt bei mir die Abwehr.«
Suzan seufzte. »Schöner hätte ich das auch nicht sagen können. Sie werden lachen, es geht mir genauso.«
»Gut, dann verraten Sie mir doch einfach, ob Selma das Haus der Waynes tatsächlich verlässt.« Suzan schenkte Grace wieder ein bezauberndes Lächeln, so als hätte es in ihrem Gesicht niemals etwas anderes gegeben als Zuneigung und Verständnis.
»Versuchen Sie das mal«, flötete die Professorin und drückte Grace eine volle Bierflasche in die Hand. Grace war irritiert, doch dann bemerkte sie das Abbild des Riesenvogels auf dem Etikett. »Moa-Bier?«, las sie ungläubig. Dann lachte sie und nahm einen kräftigen Schluck.
Macandrew Bay, 24. Dezember 1883
Selma hatte ihre Stellung bei den Waynes behalten und war
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