Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
nicht in eine ungewisse Zukunft geflüchtet. Aber auch nur, weil sich Misses Wayne auf Druck ihres Sohnes, und dem von Mama Maata, bei ihr entschuldigt und sie ausdrücklich gebeten hatte zu bleiben. Dass sie das niemals freiwillig getan hätte, geschweige denn, dass sie Selma in ihr Herz geschlossen hätte, wurde immer dann deutlich, wenn die beiden allein waren.
»Und vergiss ja nicht die Gläser für den Weißwein!«, keifte Ida Wayne.
Selma deckte gerade den Tisch für das Weihnachtsessen der Familie Wayne. Und als wenn das nicht Herausforderung genug wären, guckte ihr die Herrin des Hauses die ganze Zeit über penibel auf die Finger. So als könne sie gar nichts. Dabei wusste Misses Wayne genau, dass sie niemals die Gläser vergessen würde. Es war reine Schikane.
Mama Maata hatte Selma inzwischen beigebracht, was alles auf eine festliche Tafel gehörte. Selma war sehr lernwillig. Sie saugte alles, was die alte Maori ihr beibrachte, gierig auf. Sie hatte die Tafeln mittlerweile für alle großen Gesellschaften eingedeckt, die im Hause Wayne stattfanden. Und das waren so kurz vor Weihnachten nicht gerade wenige gewesen.
Nichtsdestotrotz hasste Selma die überhebliche Art von Misses Wayne, vor allem, weil sie ja wusste, dass die Dame des Hauses in Wahrheit einst auch nichts anderes als ein armes Auswanderermädchen gewesen war.
»Was ist jetzt mit den Gläsern?«
Selma biss sich auf die Lippe, um nicht das auszusprechen, was sie der überheblichen Matrone gern an den Kopf geworfen hätte. Darauf wartete die doch nur. Selma war sich sicher, dass Misses Wayne einen Vorwand suchte, sie loszuwerden, aber in einer Art, die die Dame des Hauses in einem guten Licht dastehen ließe. Und das wäre der Fall, wenn Selma sich provozieren lassen und ausfällig gegenüber ihrer Arbeitgeberin werden würde. Also hielt sie ihren Zorn im Zaum. Einfach war das nicht!
»Die Gläser werden gerade noch in der Küche poliert«, erwiderte Selma, ohne aufzuschauen.
»Und zieh zum Servieren heute nicht wieder dieses aufgedonnerte Kleid an, hörst du?«
Selma lief knallrot an. Das aufgedonnerte Kleid war kein geringeres als das schöne blaue, das Damon ihr in Auckland gekauft hatte. Er hatte ihr anlässlich ihres ersten Auftritts bei einer Gesellschaft vorgeschlagen, es zum Servieren zu tragen. Seine Mutter aber hatte sich, kaum dass die Gäste an jenem Tag gegangen waren, maßlos über das unpassende Kleid aufgeregt.
»Nein, niemals. Ich ziehe natürlich das graue mit dem weißen Kragen an, das Sie mir gegeben haben«, entgegnete Selma betont unterwürfig.
»Sag mal, hat Maata dir nicht beigebracht, die Herrschaften anzusehen, wenn sie mit dir sprechen?«
Selma hob den Kopf und blickte Misses Wayne direkt in die Augen. Dabei bemühte sie sich, so viel Kälte in ihren Blick zu legen, wie sie nur konnte.
Ida Wayne wandte sich irritiert ab, doch sie blieb trotzdem noch eine Weile neben Selma stehen und beobachtete sie. Erst als Damon ins Zimmer trat, eilte sie von dannen. »Wenn du hier fertig bist, dann schaust du noch mal nach dem Truthahn, ja?«, flötete sie, als wäre Selma ihre liebste Haushaltshilfe.
»Wie geht es Ihnen? Hat sie wieder ihren ganzen Charme bei Ihnen versprüht?«
Selma lachte, und ihr Zorn war verflogen. »Fragen Sie mich lieber nicht. Sonst werfe ich noch Ihnen all die Unflätigkeiten an den Kopf, die mir auf der Zunge liegen, die ich mir aber in Gegenwart Ihrer Frau Mutter erfolgreich verkneifen konnte.«
Damon war der Einzige, der ahnte, wie seine Mutter Selma schikanierte, und der immer auf ihrer Seite war. Selma mochte den jungen Anwalt von ganzem Herzen, und manchmal fragte sie sich, wie es in ihm wohl aussah. Und warum ein so gut aussehender junger Mann wie er keine Verlobte hatte.
Mama Maata konnte sie auch nicht fragen. Sie hatte es einmal versucht und sofort deren Argwohn geweckt. Und die Maori hatte kein Blatt vor den Mund genommen und gewettert: »Das geht dich gar nichts an, denn selbst wenn er zehnmal in dich verliebt wäre und du seine Gefühle erwidern würdest, er könnte dich niemals heiraten. Die Waynes gehören zu den ersten Familien Dunedins.«
Selma hatte, nachdem Mama Maata ihre Rede endlich beendet hatte, vor Empörung zitternd erwidert: »Ich in ihn verliebt oder er in mich? Wie kommst du auf so einen Unsinn? Und heiraten erst?«
Ansonsten liebte Selma die alte Frau über alles. Sie war wie eine Mutter zu ihr. Auch hätte sie keine bessere Lehrmeisterin finden können. Sogar
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