Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
das verhasste Servieren hatte ihr die alte Maori beigebracht. Anfangs hatte Selma finster dreingeschaut, wenn sie die Herrschaften bedienen sollte. Jetzt verrichtete sie diese Arbeit stets freundlich und aufmerksam. So aufmerksam, dass immer wieder neue Damen versuchten, sie abzuwerben. Sogar die beste Freundin von Ida Wayne, Dorothy Adison, hatte ihr neulich unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie sie mit Kusshand einstellen werde, falls es ihr im Hause Wayne nicht mehr gefalle.
»Kann ich Sie irgendwie trösten oder Ihnen bei der Arbeit helfen? Aber Vorsicht, ich habe zwei linke Hände«, scherzte Damon.
»Halten Sie mich bloß nicht von der Arbeit ab, Mister Wayne, es ist noch so unendlich viel zu tun«, erwiderte Selma lachend. »Und stellen Sie sich vor, Mama Maata hat mich den Plumpudding zubereiten lassen, weil ich ein altes Rezept kenne und ihn jedes Jahr in New Mill gekocht habe«, erklärte sie voller Stolz; doch dann verfinsterte sich ihr Gesicht.
Sie musste plötzlich daran denken, dass es das erste Weihnachtsfest in der Fremde war. Ein Weihnachten, dass sie ohne Familie würde verbringen müssen.
Als könne Damon ihre Gedanken lesen, fragte er: »Und wie feiern Sie, wenn Sie heute Abend in der Küche fertig sind?«
Selma machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das wird so spät sein, dass ich nur noch ins Bett falle.«
»Hätten Sie Lust, mit mir noch einen Spaziergang zu unternehmen, bevor Sie ins Bett gehen? Ich habe ein kleines Geschenk für Sie, obwohl es erst morgen so weit ist.«
Selma sah Damon gerührt an. »Wir haben in der Heiligen Nacht nach dem Essen immer einen Spaziergang im Schnee gemacht.«
Damon lächelte schief. »Na ja, Schnee kann ich Ihnen natürlich nicht bieten. Heute ist ein besonders heißer Tag. Viel zu heiß, um Truthahn zu essen, aber Mutter besteht darauf, heute und morgen das ganz große Essen zu veranstalten mitsamt der Dekoration. Ein bisschen überladen, finden Sie nicht auch? Andere essen am Vorabend von Weihnachten eine schlichte Suppe.«
»Dazu sage ich lieber nichts, denn die Girlanden und Mistelzweige hat Ihre Mutter eigenhändig aufgehängt. Und sehen Sie, sogar die Leine mit den Weihnachtskarten hat sie selbst gespannt.«
»Scheußlich, wenn Sie mich fragen.« Damon lachte.
»Aber Sie fragt ja keiner«, konterte Selma keck.
»Dann gibt es wenigstens einen Lichtblick heute Abend. Einen Strandspaziergang mit Ihnen«, seufzte Damon. »Aber jetzt muss ich mich sputen. Die Familie fährt nach St. Paul, um an der Christvesper teilzunehmen. Wer das verpasst, fällt bei Mutter in lebenslange Ungnade.«
Selma sah dem jungen Mann verträumt hinterher. Er brachte zwar nicht ihr Herz zum Klopfen, aber er strahlte eine wohltuende Wärme aus, und seine Heiterkeit war ansteckend. In seiner Gegenwart musste man sich einfach wohlfühlen. Und immer wieder schenkte er ihr ermunternde Worte. Die Frau, die ihn einmal zum Mann bekommt, ist zu beneiden, schoss es ihr durch den Kopf, während sie begann, die schweren silbernen Messer und Gabeln um die Teller zu drapieren.
Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie nicht einmal bemerkte, wie jemand das Zimmer betrat und sich von hinten an sie heranschlich. Erst als eine männliche Stimme - der von Damon nicht unähnlich - ausrief: »Keine Angst, aber ich muss Sie küssen!«, zuckte sie zusammen.
In demselben Augenblick fuhr sie herum und konnte gerade noch sehen, wie sich ihr ein attraktives Gesicht näherte. Sie war so erschrocken, dass sie sich nicht einmal wehrte, als wildfremde Lippen die ihren sanft berührten.
Erst als der junge Mann grinsend von ihr abließ, fand sie die Sprache wieder. »Was fällt Ihnen ein?«, schrie sie und hob die Hand, um ihm eine Ohrfeige zu versetzen, doch er hielt ihren Arm fest. »Sie können mir keinen Vorwurf machen. Ich habe diese Traditionen nicht begründet, aber zugegeben, ich genieße sie.« Und wieder wollte er sie küssen, doch dieses Mal wandte sie sich empört ab. »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Sie können mich nicht einfach küssen!«, schnaubte sie.
»Ich habe keine andere Wahl. Überzeugen Sie sich selbst.« Er deutete nach oben.
Beim Anblick des Mistelzweigs direkt über ihr an der Lampe lief sie tiefrot an.
»Kennen Sie das denn nicht?«, fragte er scheinbar unschuldig. »Dann werden Sie es jetzt kennenlernen müssen.«, fügte er verschmitzt hinzu.
Wieder näherte sich sein Mund ihrem Mund, doch sie wich zurück. »Und wenn es hundertmal
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