Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
Geschenk. Mit zittrigen Fingern packte sie es aus. Es war ein Perlentäschchen in Blau. Passend zu ihrem Kleid.
Selma strich voller Rührung über die glitzernden Perlen.
Ach Damon, du bist so gut zu mir, dachte sie, doch dann schweiften ihre Gedanken wieder zu seinem Bruder ab. Sie bereute noch einmal bitterlich, dass sie ihm gleich am ersten Abend alles geschenkt hatte. Trotzdem wollte sie an ihrer Hoffnung festhalten, dass er ein aufrichtiger Mann war, wenngleich sich in ihrem Bauch zunehmend ein anderes Gefühl breitmachte. Wie ein schleichendes Gift wuchs dort das Misstrauen heran.
Selma konnte nicht mehr ruhig liegen. Sie warf ihren Kopf hin und her. Dabei hoffte sie, die bösen Gedanken würden fortfliegen. Ich muss an etwas Schönes denken, nahm sie sich fest vor. Krampfhaft versuchte sie, sich ihr Hochzeitskleid vorzustellen. Will und sie hatten sich kein teures Hochzeitsgewand leisten können. Deshalb hatte sie in einem schlichten dunklen Sonntagskleid geheiratet, aber die Waynes würden sich bestimmt nicht lumpen und ihr ein weißes Kleid nähen lassen. Sie sah es bereits bildlich vor sich. Es besaß Verzierungen und ließ sie jung und unschuldig aussehen. Wie eine Prinzessin. Nun drehte sie sich im Kreis, ihr Bräutigam umfasste sie. Doch erst, als er sich umwandte, erkannte sie, mit wem sie da tanzte. Selma erstarrte. Sie blickte nicht in die Augen von Charles Wayne, sondern in das verschlagene Gesicht von Richard Parker.
Selma stieß einen markerschütternden Schrei aus.
Dunedin/Otago Peninsula, Ende Februar 2009
Grace wohnte nun bereits seit über zwei Wochen bei der Professorin. Die hatte ihr ein geräumiges Zimmer im Obergeschoss zur Verfügung gestellt. Grace fühlte sich dort wohl. Ihr Schreibtisch stand direkt am Fenster, und sie genoss einen malerischen Blick in den üppigen Garten. Darin wucherte es wie in einem Urwald aus Farnen und tropischen Pflanzen. Fremdartige Blumen leuchteten in allen nur erdenklichen Rottönen. Von Lachs bis Purpurrot, von Wein- bis Blutrot. Und die merkwürdigsten Vogelstimmen drangen zu ihr herauf. Zwischen dem munteren Gezwitscher verschaffte sich einer Gehör, der laut und fordernd pfiff. So, als würde er rufen: »Bleib hier! Bleib hier!«
Eigentlich hätte Grace schon längst den Rückflug buchen müssen, aber sie konnte sich partout nicht dazu durchringen. Nicht nur, weil Suzan ihr scherzhaft versichert hatte, für die Geschichte brauchte sie mindestens noch zwei Monate. Nein, es war ihr Innerstes, das sich weigerte, so schnell nach Deutschland zurückzukehren. Und schließlich hatte sie sich an der Universität für sechs Monate frei genommen. Es würde sie also keiner vermissen. Hinzu kam, dass sie hier ungestört arbeiten und darüber auch noch mit einer Fachfrau diskutieren konnte. Suzan drängte sie immer wieder, dass sie doch ein Buch zusammen schreiben sollten, aber das war Grace zu verpflichtend. Schließlich würde das bedeuten, dass sie noch Monate bleiben müsste.
Grace seufzte. Bislang hatte sie nicht viel von Dunedin gesehen, aber heute war Sonntag, und Suzan wollte mit ihr einen Ausflug auf die Otago Peninsula machen. Grace hatte darauf nicht allzu viel Lust, denn sie war mitten in der Nacht schweißgebadet aus einem entsetzlichen Albtraum erwacht und hatte danach bis zum Morgengrauen wachgelegen.
»Sind Sie fertig?«, rief Suzan von unten.
»Gleich!« Grace stand vom Schreibtisch auf und nahm sich vor, die Entscheidung über ihre Abreise bis heute Abend aufzuschieben. Es war viel zu heiß, um sich weiter den Kopf zu zerbrechen. Sie schwitzte ein wenig, obwohl sie ein luftiges Sommerkleid und Sandalen trug, denn so schön es hier oben auch war, es heizte sich mächtig auf. Die ersten Tage war ständig Regen auf das Dach geprasselt, aber nun war der Sommer mit all seiner wärmenden Kraft zurückgekehrt.
Deshalb ging sie die Treppen langsam hinunter. Unten in der Diele wurde sie bereits ungeduldig von Suzan erwartet. »Sie sehen entzückend aus. So jung und mädchenhaft!«, entfuhr es der Professorin.
Während sie in Suzans japanischem Geländewagen durch die Straßen fuhren, erzählte die Professorin ihr etwas über die Geschichte Dunedins. Grace aber hing ihren eigenen Gedanken nach und bekam nur Brocken mit wie Goldrausch, schottisch und einst größte Stadt. Doch als Suzan erklärte: »Die Henson-Villa dort zur Linken hat mein Ururgroßvater gebaut, das einzige seiner Bauwerke, das noch steht«, horchte Grace auf. Leider zu
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