Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
und sie wusste beim besten Willen nicht mehr, was sie tun sollte.
Und da war noch eine dritte Stimme, deren Botschaft Grace erzittern ließ: Wie du dich auch immer entscheidest, nichts wird mehr so sein wie vorher!
Grace rieb sich die Schläfen, um den Schmerz in ihrem Kopf zu betäuben. Und plötzlich hörte sie nur noch eine einzige Stimme befehlen: Nun geh schon! Du hast keine andere Wahl! Die Stimme, die nach Aufklärung drängte, hatte endgültig gesiegt!
Wie in Trance verließ sie das Archiv und stieg gedankenverloren die Stufen hinauf. In der Diele war alles still. Grace sah auf ihre Armbanduhr. Es war Mittagszeit. Da gingen Suzan und Vanessa meist etwas essen. Grace begleitete sie grundsätzlich nicht. Zu groß war ihre Furcht, Barry über den Weg zu laufen. Die beiden Frauen brachten ihr meistens etwas mit.
Grace rechnete die zwölf Stunden Zeitunterschied zurück. Wenn es hier ein Uhr Mittag war, dann war es zuhause gerade einmal ein Uhr nachts. Eigentlich keine gute Zeit, um in Deutschland anzurufen, aber Ethan war ein Nachtmensch. Selten ging er vor drei Uhr morgens ins Bett. Wenn sie Glück hatte, erwischte sie ihn noch in wachem Zustand. Immer gesetzt den Fall, er war überhaupt schon wieder in Berlin und nicht mehr im Urlaub.
Eilig verschwand Grace in Suzans Büro und wählte ohne zu zögern Ethans Nummer. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, aber es meldete sich keiner. Sie sind noch unterwegs, dachte Grace, aber sie versuchte es trotzdem noch einmal. Dann vernahm sie am anderen Ende eine ärgerlich klingende Frauenstimme. Es war Dana, die sie offenbar aus dem Schlaf gerissen hatte. Grace wollte schon auflegen, doch dann nahm sie all ihre Kraft zusammen. Unmissverständlich verlangte sie nach ihrem Vater.
»Hast du sie noch alle, hier mitten in der Nacht anzurufen!«, keifte Dana ins Telefon. Grace hielt den Hörer weit weg vom Ohr.
Wenig später meldete sich Ethan. Er machte ihr als Erstes einen Vorwurf, dass sie Dana geweckt habe, die wegen des Babys ohnehin nie durchschlafen könne.
Grace war versucht, umgehend aufzulegen, aber dann schluckte sie ihre Wut mitsamt den zynischen Bemerkungen, die ihr auf der Zunge lagen, hinunter.
»Es ist dringend. Und es geht schnell. Du sollst mir nur das eine sagen: Was weißt du über den Verbleib meiner Mutter, und warum hat sie mich ausgerechnet dir zur Adoption gegeben?«
Ethan zog nervös an einer Zigarette. Das hörte Grace selbst über diese Entfernung.
»Ich dachte, du wolltest es aufgeben wegen deines Nachzüglers«, bemerkte Grace spöttisch.
»Ich habe dir bereits gesagt, dass ich deine leiblichen Eltern nicht kenne. Nun glaub mir doch endlich! Man sagt Eltern von Adoptivkindern nicht, wer ihre leiblichen Eltern sind.«
»Ethan, hör auf mit deiner verlogenen Märchenstunde!«, fuhr Grace ihn in scharfem Ton an. »Du warst in meine Mutter verliebt, du kanntest sie sogar sehr gut! Warum tust du mir das an? Warum verheimlichst du mir die Wahrheit?«
»Mist, ich hatte recht!« fluchte Ethan. »Ich habe mich nicht geirrt. Es war ihre Stimme. Grace, ich werde dir alles sagen, aber bitte komm zurück. Verlasse umgehend das Haus dieser Frau. Sie wird dich belügen«, ergänzte er flehend.
»Ich befürchte, wenn einer lügt, dann bist du es. Schließlich hast du mir geschworen, man wisse als Adoptiveltern ja nie, wer die leiblichen Eltern seien. Du aber hast mich adoptiert, weil du meine Mutter kanntest. Wie soll ich dir je wieder glauben? Du hast Claudia belogen und betrogen. Und nun mich. Wie soll ich dir trauen, Ethan?«, brüllte Grace außer sich vor Wut in den Hörer, aber sie war noch nicht fertig. Der Zorn ließ ihren ganzen Körper vibrieren. »Ich habe trotz alledem weiterhin meinen Vater in dir sehen wollen, aber ich kann nicht mehr. Weder deine zickige Dana noch deine ständigen Lügen, ich ertrage es nicht!«
»Bitte, setz dich in den nächsten Flieger. Ich schwöre, ich werde dir alles erklären«, flehte Ethan verzweifelt.
»Zu spät! Ich habe dir eben eine faire Chance gegeben, und du hast sie nicht genutzt. Mach's gut, Ethan.«
Entschlossen legte Grace auf. Plötzlich fühlte sie sich entsetzlich verlassen. Auch wenn sie in letzter Zeit erhebliche Differenzen mit Ethan hatte, er war immerhin ihr einziger Verwandter. Und sie liebte ihn immer noch wie einen Vater, ungeachtet dessen, was vorgefallen war.
Doch es gab kein Zurück mehr! Ethan log, Suzan mauerte, sie, Grace, war bei der Wahrheitssuche auf sich allein gestellt.
Ihr Blick
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