Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
einmal zurück und baute sich vor ihrem Schreibtisch auf.
»Bitte, Selma, bitte, ich entschuldige mich für alles, was ich dir angetan habe. Von Herzen. Wir haben uns einmal sehr nahegestanden. Ich mag dich immer noch. Da kannst du doch nicht zulassen, dass meine Existenz zerstört wird. Wenn wir keine Schiffe mehr an die Otahuna-Company verchartern, sind wir raus aus dem Geschäft. Sie können nur als Kühlschiffe fahren. Meinen Ruin kannst du nicht wollen!«
»Mister Wayne, Sie haben reich geheiratet. Es wird der Familie Adison sicherlich eine wahre Freude sein, Sie an ihrem Reichtum teilhaben zu lassen. Allerdings sollten Sie in Zukunft aufpassen, wenn Sie vorhaben, Ihre Frau zu betrügen. Mittellose Schürzenjäger sind wenig attraktiv«, erwiderte Selma kühl. Dann wandte sie sich an den Anwalt: »Mister Koch, wenn die Herren nicht freiwillig gehen, würden Sie dann ein wenig nachhelfen?«
Mister Koch trat schweigend auf Charles zu und fasste ihn beim Arm.
»Das kannst du nicht tun!«, brüllte der Charmeur und musste von Mister Koch aus dem Kontor gezerrt werden. Er machte immer wieder Anstalten, sich loszureißen und sich auf Selma zu stürzen. Der alte Wayne aber stand in der Tür und starrte leeren Blickes vor sich hin. So als würde er den Verstand verlieren. Doch dann wandte er sich noch einmal zu ihr um. Er war um Jahre gealtert. »Ein Dienstmädchen sind Sie. Weiter nichts!«, krächzte er.
Dann schob Mister Koch auch ihn auf den Flur hinaus und schloss die Tür hinter sich. Er wollte sie wohl bis nach draußen begleiten, um sicherzugehen, dass sie wirklich verschwanden.
Selma atmete ein paarmal tief durch. Sie triumphierte bei dem Gedanken, dass sie jetzt am längeren Hebel saß. Und Charles wird nie erfahren, dass seine Tochter das hier alles eines Tages erben wird, dachte sie befriedigt. Antonia würde sie kein Sterbenswort über ihre wahre Herkunft verraten. Nein, das hatte sie sich alles reiflich überlegt. Antonias Vater hieß Will Parker. Und an dieser Legende würde sie arbeiten, bis alle daran glaubten. Sogar sie, Selma Parker!
Bei dem Gedanken lächelte sie listig in sich hinein.
Doch ihre Schadenfreude war von kurzer Dauer, denn der Durst nach Rache, der in ihren Eingeweiden brannte, war noch lange nicht gestillt. Erst an dem Tag, an dem die Waynes ihr Haus verlieren und vor dem Nichts stehen würden, könnte sie sich befriedigt zurücklehnen. Mister Koch würde sicherlich herausbekommen, wenn es so weit war, damit sie das Haus auf dem grünen Hügel kaufen konnte. Dann würde es nur noch eines geben, was ihr zum vollkommenen Glück fehlte: Richard Parker sollte seine gerechte Strafe bekommen! Kein unüberwindliches Hindernis mehr, wenn sie bedachte, dass sie nun in der glücklichen Lage war, dem ehemaligen Matrosen Peter Stevensen eine gute Stellung und ihm und seiner Braut ein gemütliches Heim zu bieten ...
Sie würde Mister Koch umgehend den Auftrag erteilen, nach Nelson zu reisen, um Stevensen heimlich zu treffen. Und um ihm bei der Gelegenheit ein Angebot zu unterbreiten, das der junge Mann schwerlich würde ablehnen können. Richards Kopf gegen eine gut bezahlte Stellung auf Otahuna.
Selma rieb sich befriedigt die Hände. Sie stellte sich gerade vor, wie dieser feige Mörder im Gerichtssaal schwitzen und um eine milde Strafe betteln würde. Und wie sie ihn dann dazu verurteilen würden, den Rest seiner Tage auf einer Gefangeneninsel dahinzuvegetieren. Selma erschrak, als jemand in irres Gelächter ausbrach, bis sie merkte, dass dieser Jemand kein Geringerer war als sie selbst.
Dunedin, März 2009
Mit Feuereifer hatte Grace sich in die Arbeit gestürzt. Sie verbrachte täglich mehrere Stunden im Archiv, um Antonias Notizen über den Moa zu studieren. Nur um das Märchen schlich sie herum wie eine Katze um den heißen Brei. Das wollte sich Suzan ja unbedingt aufheben, bis sie endlich bei Antonias Geschichte angelangt waren.
Seit dem denkwürdigen Abend vor über einer Woche hatte Suzan ihr merkwürdigerweise gar nichts mehr von Selma erzählt. Auch verlor sie, wie verabredet, kein Wort mehr über die Sache mit Moira Barclay.
Grace war einerseits froh darüber, dass Suzan sich an die Vereinbarung hielt, keinerlei Andeutungen mehr über Ethan oder ihre Mutter zu machen, andererseits war es auch ein wenig unheimlich. Ihr kam es nämlich so vor, als ob Suzan überhaupt auf Distanz zu ihr ging. Mehrmals schon hatte Grace sie gefragt, ob sie nicht zusammen kochen wollten,
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