Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
fiel auf das Dunediner Telefonbuch. Mechanisch griff sie danach und blätterte den Namen Barclay auf. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Was tue ich nur?, fragte sie sich, aber da fuhr sie auch schon mit dem Finger die Spalte der Barclays ab. Es gab nicht wenige mit diesem Namen in der Stadt. Aber keine Moira. Ihr Herz klopfte zum Zerbersten, als sie stattdessen auf eine M. Barclay stieß. Grace atmete tief durch. Jetzt
oder nie!
Mit zitternden Fingern tippte sie die Nummer aus dem Telefonbuch ein. Es meldete sich keiner. Sie wollte schon auflegen, als eine Frauenstimme krächzte: »Barclay!«
Bevor Grace etwas sagen konnte, hörte sie Stimmen in der Diele. Hastig legte sie auf, huschte in das Gästebad neben dem Büro und schloss die Tür hinter sich ab. Wenn sie aus der Toilette kam, würde keiner Verdacht schöpfen. Auch nicht Suzan, der man doch sonst nie etwas vormachen konnte.
Laut und verständlich drangen die Stimmen durch die Tür. Grace konnte jedes Wort verstehen. Mit Begeisterung schien die Professorin jemandem von ihrem gemeinsamen Buch zu berichten. Das ärgerte Grace maßlos. Schließlich hatte sie ihr noch gar nicht mitgeteilt, dass sie zu dieser Zusammenarbeit bereit war.
»Und wir werden alle verfügbaren - die wahrscheinlichen und die märchenhaften - Theorien zum Leben und Sterben des Urvogels darlegen. Grace hat einmal einen wunderbaren Artikel darüber geschrieben. Wir werden auch die abseitigen Theorien von dem ominösen Moa-Jäger einfließen lassen. Sogar unsere Herren Kryptozoologen werden wir kurz erwähnen, die heute immer noch in den Fjordlands nach Moas suchen. Und wir werden das Ganze Das Geheimnis des letzten Moa nennen.«
Bevor sich Grace erneut über die Eigenmächtigkeit der Professorin aufregen konnte, erkannte sie die zweite Stimme und erstarrte. »Ich bin eigentlich hergekommen, um mit Grace über meinen Bruder zu reden. Nachdem er sich mit ihr getroffen hat, ist er richtiggehend durchgedreht. Er säuft wieder, hat seinen Job geschmissen und mich gebeten, nicht zu ihm zu ziehen. Vorher war ihm so wichtig, dass ich in mein Elternhaus zurückkehre, aber jetzt? Vielleicht weiß Grace, was in ihn gefahren ist. Mit mir redet er nicht darüber. Vielleicht kann sie mal zu ihm fahren und ihm ins Gewissen reden.«
Grace ballte die Fäuste. Wieso erzählte er Suzan so freimütig private Dinge, die sie gar nichts angingen? Und was spielte er sich schon wieder als Kuppler zwischen ihr und seinem Bruder auf? Ärgerlich registrierte sie, dass ihr Herz trotz allem wie wild pochte, seit sie Horis Stimme erkannt hatte.
»Vanessa, schaust du mal unten im Archiv nach und holst Grace?«, bat Suzan ihre Assistentin. Schritte entfernten sich.
»Und was machen Ihre Kiwi-Babys?«, fragte Suzan nun Hori.
Grace wagte kaum zu atmen, denn eines war ihr klar: Nach seinen Worten zu urteilen, hatte Barry seinem Bruder offensichtlich nicht weitergegeben, was sie ihm wirklich an den Kopf geworfen hatte. Grace wurde es heiß und kalt. Ihr Versteck würde sie erst verlassen, wenn Hori fort war.
»Wir fahren demnächst wieder auf eine der Inseln. Ich wollte Grace fragen, ob sie vielleicht mitkommen möchte«, sagte er nun.
Was für eine wohlklingende Stimme er hat, durchfuhr es Grace. Warum sage ich ihm nicht einfach, dass es aus ist mit Barry und mir und dass ich liebend gern mitkomme? Aber sie blieb stumm. Keine Komplikationen, redete sie sich gut zu, nur keine Komplikationen. Ihre Knie zitterten. Sie setzte sich leise auf den Toilettendeckel. Sonst kippe ich noch um, fürchtete sie.
»Nein, unten ist sie nicht und auch nicht auf ihrem Zimmer«, erklärte Vanessa bestimmt.
»Grace!«, rief Suzan laut. »Grace! Besuch für dich!«
Grace gab keinen Laut von sich.
»Tja, dann ist sie wohl ausgegangen. Kann sie Sie anrufen?«, fragte Suzan eifrig.
»Ja, sie hat meine Karte. Und bitte sagen Sie ihr, es ist dringend!«
»Natürlich. Aber vielleicht sind Sie so freundlich und schreiben mir Ihre Adresse auf. Grace ist so entsetzlich unordentlich. Wahrscheinlich hat sie Ihre Karte längst verlegt. Kommen Sie. Wir begleiten Sie noch zur Tür. Wir müssen nämlich gleich wieder fort. Jemand bietet uns einen Moa-Knochen für unsere Sammlung an. Mal sehen, ob er echt ist.«
Die Stimmen entfernten sich, und Grace wagte wieder, normal zu atmen.
Doch erst, als alles still war, schlüpfte sie aus ihrem Versteck zurück ins Büro. Dort lag das Telefonbuch, immer noch aufgeschlagen.
Grace wählte erneut die
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