Das Geheimnis des Nostradamus
flötete der dritte höflich und verbeugte sich ungeschickt. Das linke Auge war unter einer Klappe verborgen. »Nie würden wir es wagen, Euch Hundescheiße anzudrehen!«
Der erste fächerte Nostradamus mit seiner narbigen Hand einen süßlichen Geruch zu. »Wir haben es mit unseren Netzen aus dem Meer gefischt, obwohl noch längst nicht Winter ist.«
Nostradamus stutzte und fuhr mit dem Finger über die glatte Oberfläche. »Amber?«
Der Einäugige nickte heftig und rieb sich aufgeregt die knöchrigen Hände. »Genau! Walscheiße! Was für ein Glück!«
»Und wir dachten, Ihr könntet es gebrauchen«, lispelte der zweite. »Da Ihr doch mit Gerüchen arbeitet!«
Die Augen des Arztes fingen an zu glänzen. Amber! Das war genau das, was ihm für einige Versuche immer gefehlt hatte. Jetzt hatte er ja auch ein Labor, in dem er experimentieren konnte! Und das im September! Nach der Sonnenwende im Dezember konnten schon mal Stückchen am Meeresstrand gefunden werden. Aber um diese Zeit…
»Und es ist noch nicht mal durch den Fuchs gegangen«, juchzte der Einäugige übermütig.
In diesem Moment wieselte der dickliche Wirt herbei und stellte mehrere Becher mit einer großen Weinkaraffe auf den Tisch. Die Seeleute langten beherzt zu.
»Durch den Fuchs gegangen?«, fragte Marie neugierig nach.
»Ja, Füchse sind regelrecht wild auf dies Zeugs!«, versuchte der mit den Zahnstümpfen zu erklären. »Die verschlingen es, als wäre es ein frisch gebratenes Kaninchen. Und dann…«
»Und dann… Nun ja…« Der zweite räusperte sich und verdrehte gekünstelt die Augen. »Wie soll ich das dem jungen Weibe angemessen erklären… Der Amber muss dann ja auch noch durch den Darm des Fuchses…«
»Und in dem Darm des Fuchses gibt es etwas, was vorher auch schon drin war…«, fügte der erste vorsichtig hinzu, während er Marie mit glänzenden Augen anstarrte.
»Genau!«, meinte der Einäugige und nahm einen großen Schluck von dem Rotwein. »Und das ist Fuchsscheiße.«
Der zweite versetzte ihm einen deftigen Stoß, sodass der Wein im Glas überschwappte, und deutete auf Marie. »Benimm dich doch, du Tölpel.«
»Entschuldigung, Mademoiselle«, hüstelte er vornehm und spitzte kokett die Lippen, während er mit der Hand einen aufgeregt flatternden Fächer nachahmte. »Jedenfalls kommt dann am hinteren Ende des Fuchses der Amber fast in einem Stück wieder heraus, allerdings mit allerlei dunklen, übel riechenden Flecken durchsetzt… Und das ist dann die Fuchsscheiße«, platzte er heraus und dröhnte vor Lachen. Die anderen fielen mit ein, während der Einäugige Marie verschmitzt mit dem gesunden Auge zuzwinkerte.
»Aber der hier ist jungfräulich«, meinte der mit den Zahnstümpfen und seufzte, als er wie frisch verliebt über die glatte Oberfläche strich. »Der ist nur einmal ausgeschissen worden.«
In diesem Moment entdeckte Marie das blasse Mädchen mit dem verklebten Blondhaar, das letztens auf dem Marktplatz von dem seltsamen Lied des Spielmanns erzählt hatte. Sie hatte ein paar Sous in ihrer geröteten Hand gehalten, leider viel zu wenig, um die kostbare Salbe kaufen zu können. Jetzt stand sie hinter dem Tresen und lächelte ihr schüchtern zu. Da Nostradamus gerade damit beschäftigt war, den Preis für den Amber auszuhandeln, huschte Marie neugierig zu ihr hinüber und begrüßte sie.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie.
»Ich helfe hier manchmal in der Küche aus«, antwortete das Mädchen leise, während sie sich hastig nach dem Wirt umschaute.
»Ich heiße Marie!«
»Und ich Lucie.«
»Hast du heute Abend Zeit?«
Lucie strahlte und nickte. »Wann und wo?«
»Um sechs?«
»Ja, vor der Kirche Saint-Michel. Die kennst du doch.«
In diesem Moment tänzelte der dickliche Wirt auf den Weintresen zu. Seine Äugelchen glänzten. In der einen Hand balancierte er ein hölzernes Tablett mit mehreren Zinnbechern, mit der anderen wischte er sich die Schweißtropfen von der Stirn. Seine rosige Zungenspitze leckte in Erwartung des köstlichen Mahls erregt über die vollen Lippen.
»Mach’s gut«, raunte Lucie ihr hastig zu. »Ich freu mich!«
»Ich mich auch!« Marie drückte zart ihre Hand. »Bis heute Abend!«
Geduckt huschte Lucie zurück in einen düsteren Flur, der wohl in die Küche führte. Das Wildschwein am Spieß hatte eine bräunliche Kruste angesetzt, Fettspritzer zischten ins Feuer und ein köstlicher Duft zog durch die Schenke.
Als Marie zum Tisch zurückkam, stemmten die Seeleute
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