Das Geheimnis des Nostradamus
Leibessäfte des Vermählten nicht mehr in Wallung geraten wollten.« Er stieß die Worte kehlig, in einer ungewöhnlich hohen Stimmlage aus. Sie klangen fast gehaucht, als hätte er ein Leiden in der Luftröhre.
»Ja, ich kenne es!«, meinte Nostradamus. »Medusa selbst soll es verfasst haben!«
Monsieur Bandon verneigte sich anerkennend. Die blasse Kopfhaut schimmerte unter seinem spärlichen Haar hervor. »Gratulation!«, bemerkte er wohlwollend mit seinem hohen Stimmchen. »Ich dachte mir gleich, dass Ihr ein Gelehrter seid und nichts mit dem Pöbel auf der Straße zu tun habt.«
»Mein Name ist Michel Nostradamus, ich habe mein ärztliches Examen an der Universität von Montpellier abgelegt und bin auf der Durchreise. Wäre es möglich, für einige Zeit in Eure Dienste zu treten, da Ihr einen herausragenden Ruf genießt?«
»Ihr seid Michel Nostradamus?«, rief Bandon entzückt und schüttelte dessen Hand. »Der berühmte Pestarzt? Es wird mir eine Ehre sein, Euch in meine Dienste nehmen zu dürfen!«
Nostradamus suchte aus der Innentasche seines Umhangs zwei merkwürdig geformte Stücke Bernstein, die er auf den Verkaufstresen fallen ließ. Eines davon hatte eine Phallusform. »Ihr wisst um die Fruchtbarkeitsbehandlung mit Bernstein?«, fragte er.
Monsieur Bandon klatschte in seine kurzen, fleischigen Hände. »Fantastisch! Ich sehe, Ihr seid mein Mann!«
»Wird so etwas jetzt auch in Apotheken verkauft?«, fragte Nostradamus, während er auf die Essiglösungen mit den Schlangen und Fröschen zeigte. Der Apotheker zog Nostradamus am Ärmel hinter sich her in eine versteckte Kammer. »Kommt mit, ich zeige Euch meine neuesten Errungenschaften!«
Marie kräuselte angewidert die Nase, als sie dort ein weiteres Glas entdeckte, in dem ein blassfleischiger Fötus mit einem übergroßen Kopf schwamm. Die Nabelschnur war verquollen und verdreht. Aber anstelle von Armen hatte der Fötus nur kurze Stumpen an den Schultern. In einem anderen war eine Ratte mit zwei Schwänzen zu sehen. Das schwarze, dünne Maul war verzerrt, die spitzen Zähne blitzten auf wie kleine Dolche. In einem dritten Glas schwamm der abgeschnittene Kopf eines Huhnes, dem zwei hautfarbene Ohren zu wachsen schienen und dessen aufgerissene Augen absonderlich verklärt durch die Glaswand schielten.
»Was soll man machen?« Bandon kicherte leise. Kleine Fältchen zogen sich spröde durch seine Lederhaut. »Die Menschen sammeln Missgeburten. Sie lieben das Absonderliche. Ob sie so die Schrecken der Vergangenheit verarbeiten? Es gibt kaum eine wohlhabende Familie am Ort, die nicht so ein missratenes Ungeheuer im Hause aufgestellt hat. Je abstruser, desto lieber. Und sie zahlen Geld dafür, sehr viel Geld!« Seine hohe Stimme klang jetzt zerbrechlich, wie eine dünne Seite, die bald zerspringen würde. Draußen kreischten vollbusige Dirnen auf, die von humpelnden Söldnern und heimkehrenden Seefahrern grölend über den gepflasterten Marktplatz gejagt wurden.
Nostradamus wirkte nachdenklich. »Alles ist ein irrwitziger Tanz auf dem Vulkan. Warum begreifen die Menschen nicht, dass sie ihr Schicksal selbst in der Hand haben?« Marie bemerkte, wie sich sein Blick wieder verschleierte. Er taumelte und fasste mit zitternden Händen nach der Holztheke, um nicht zu fallen. Dann fuhr ein Ruck durch seinen Körper. »Wann kann ich bei Euch anfangen?«
»Kommt morgen in der Frühe. Es wird mir ein großes Vergnügen sein, mit Euch zu arbeiten!« Bandon strahlte und zwirbelte an seinem Zottelbart herum.
In diesem Moment schlappte ein behäbiges Weib in die Apotheke. Ihre verhärmten Mundwinkel zogen sich in feinen Verästelungen bis zum Kinn herunter. Auf der faltigen Gesichtshaut wuchsen blassbraune, münzengroße Sonnenflecken.
»Ich hätte gern von Eurem Verjüngungsmittel«, erklärte sie herrisch mit näselnder Stimme.
Nostradamus winkte Bandon kurz zu, während er die Apotheke verließ. Marie schaute sich noch einmal um: Im Schaufenster stand eine Fayence. In die flache Tonschüssel waren Abgüsse von Schlangen eingearbeitet, die sich um Kieselsteine wanden, daneben hockten Flusskrebse und spinnenartige Insekten. Alles war mit einer emaillierten Überflussglasur überzogen. Marie lächelte amüsiert. Ob die feinen Herrschaften sich in solchen Schüsseln ihre Salate zubereiteten?
Als sie in ihren neuen Lederschühchen auf das Pflaster trat, fuhr ein frischer Wind durch die Straßen und wirbelte alte Lumpen und Papiere hoch. Schiefergraue
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