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Das Geheimnis des Nostradamus

Das Geheimnis des Nostradamus

Titel: Das Geheimnis des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Flacke
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während sein dunkler Fuchs benommen die Mähne schüttelte. »Ich forsche schon seit Tagen nach Euch! Ihr werdet dringend vom Senat der Stadt Aix ersucht, Eurer Pflicht als Arzt nachzukommen und Euren Beitrag zu leisten.«
    »Als Arzt?« Nostradamus’ alarmierter Blick schien den Boten wie eine Machete zu durchdringen. »Ihr wollt doch nicht etwa sagen…«
    Der Reiter fuhr sich durch den stoppeligen Bart, aus dem der Schweiß tropfte, und öffnete seinen engen Kragen. »Doch, Monsieur…«, keuchte er. Erschöpft kippte er vom Pferd und sank bewusstlos zu Boden. Aus seinem Mund sickerte Blut, schwarze Beulen bedeckten seinen rot gescheuerten Hals.
     
     
    Nach zwei Tagesreisen hielt die Kutsche vor der Stadt Aix. Es war diesig, eine fröstelnde Kühle hatte sich über das Land gelegt. Die Befestigungsanlagen schimmerten durch den Nebeldunst wie düstere Kolosse. Die Wachtürme waren verlassen, die Tore hingen wie übergroße Flügel leblos in ihren Angeln. Der bucklige Kutscher, der mit einem schmuddeligen Tuch sein Gesicht verhüllt hatte, hob gerade die Reisetaschen vom Kutschendach. Marie schnupperte. War da nicht ein Geruch nach frischer Pfefferminze? Warum hatte sie eigentlich den Kutscher noch nie zu Gesicht bekommen?, ging es ihr plötzlich durch den Kopf. Von einer seltsamen Ahnung getrieben, schlich sie auf ihn zu und riss ihm den alten Leinenlappen vom Kopf. Entsetzt schrie sie auf. Ein frisch vernarbtes Gesicht, rosig glänzend wie eine Wachshaut, starrte ihr mit weit aufgerissenen Augen entgegen. Sie schnappte ihre Ledertasche und lief Nostradamus hinterher, der schon die Eingangstore passiert hatte.
    An den Straßenecken standen Ärzte in ledernen Brustpanzern und schwenkten Weihrauchkessel, in denen Moschus, Aloe und andere Kräuter brannten. Ein junges Weib im selbst genähten Totenhemd stolperte barfuß auf die schmutzige Gasse, in der sich stinkender Unrat sammelte. Ihre aufgesprungenen Lippen waren verzerrt, als wollte sie dem Himmel ihren angesammelten Hass entgegenschleudern. Sie bäumte sich auf, dann sackte sie leblos zusammen. Blut lief aus ihrem Mund und sickerte über den stinkenden Eiter, der in ihren Haaren klebte. Ihr weinendes Töchterchen, das mit ausgestreckten Ärmchen hinter ihr herlief, wurde von einer gichtigen Alten zurückgezerrt. Überall türmten sich Leichen, Schmeißfliegen tanzten über den Leibern. Ratten wühlten nach Nahrung. Ihre langen Schwänze huschten zwischen Leichen und Abfallbergen hin und her. Nostradamus lief immer schneller, als könnte er so dem schwarzen Tod Einhalt gebieten, auf das Stadtparlament zu. Jetzt ratterte ein Karren mit Leichen, der von durchgegangenen, völlig verschreckten Pferden gezogen wurde, über das holprige Pflaster. Der Kutscher hing zusammengesackt über dem Bock, sein schwarzfleckiger Arm baumelte leblos herunter. Der Mann musste während der Fahrt gestorben sein.
    Nostradamus nahm die Sandsteinstufen, die hoch zum Parlament führten, mit ein paar Schritten.
    »Monsieur Nostradamus!« Ein Mann mit hochrotem Gesicht hastete ihm mit weit ausgestreckten Armen entgegen. Der kurze Samtumhang, der über seinen Schultern hing, flatterte hoch. Seine gutartigen Äugelchen blickten ihn hilflos an.
    »Dem Himmel sei Dank!« Er verbeugte sich knapp und schwenkte seinen breitkrempigen Hut mit der Feder. Er warf Marie einen knappen Blick zu und versuchte flüchtig zu lächeln. »Ich bin Monsieur Solier, einer der letzten Parlamentarier, die hier geblieben sind. Die anderen sind alle in ihre Landhäuser geflohen. Kommen Sie, ich will Ihnen Monsieur Challenge vorstellen!«
    Zusammen hasteten sie über die ausgetretenen Holzstufen hoch in den ersten Stock. Ihre Schritte hallten gespenstisch durch das verlassene Gebäude. Marie stellte sich zu den Ledertaschen, die sie vor einem Hoffenster abgestellt hatten. Eine graue Hülle schien sich über die Stadt zu senken. Mit dem Handrücken wischte sie sich die staubigen Locken aus dem Gesicht. Die gegenüberliegenden Fenster, die zum Hof hinausführten, waren mit Brettern verrammelt. Ein paar Herbstblätter taumelten von einer alten Steinlinde hinunter. Aus einem Seitengang hallten jetzt Schritte herüber. Ein hoch gewachsener Mann kam auf Nostradamus zu. Marie stutzte. Plötzlich wurde sie von einer seltsamen Ahnung berührt, wusste aber nicht, was diese zu bedeuten hatte. Sie betrachtete den blassen Parlamentarier, der seitlich zu ihr stand. Sein dunkles Lockenhaar fiel bis auf die Schultern herunter.

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