Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
Vegas sein, ist es aber nicht. Im Kopf kann alles gemeinsam auftreten, ohne dass es ein Amerikaner wirklich in die Wüste gestellt hätte.
Der Arbeiter rammt weiter. Er hat nichts anderes gelernt, was soll er tun? Er beginnt, den fast weißen Sandstrand zu plätten. Bald ist er fertig. Nun kann er sich der Meeresoberfläche zuwenden. Zahlreiche Kräuselwellen zerklüften das Wasser, ein unhaltbarer Zustand für einen, der es gewohnt ist, auf jede Oberfläche so lange einzuprügeln, bis sie eben ist. Nach ein paar Stunden ist alles spiegelglatt, vom Ufer bis zum Horizont. Jetzt noch die Piste in eine Rutschbahn verwandeln, fertig.
Da! Ein leichter Windhauch tänzelt über das Meer. Kleinste Wellen lassen unseren Dampframmenoperator erblassen. Sollte alles umsonst gewesen sein? Die Meeresoberfläche kräuselt sich. Was eben noch glatt wie ein Spiegel dalag, ist nun wieder zerklüftet wie Pizzeriaputz. Schlimm! Schlimmer noch: Das Wasser hat zudem auch den Sand erreicht und Wellen in den Boden geformt. Verzweiflung macht sich breit an der Ramme. Erschwerend kommt hinzu, dass die Skipiste schmilzt. Schmelzwasser höhlt Rinnen in den Schnee und bildet an den flachen Stellen kleine Seen. Unser Dampframmenarbeiter gibt sich alle Mühe, aber er kommt nicht hinterher bei der Beseitigung der Schäden. Er rammt und rammt und rammt. Langsam wird ihm heiß. Er schwitzt. Sein Gerät beginnt zu glühen. Das Eisen tropft. Die Ramme verflüssigt sich. „Babub! Babub! Blubberlablubb …“
Das Schmelzwasser bahnt sich seinen Weg zum Meer, der Meeresspiegel steigt, alles versinkt. Durch die Temperaturschwankungen entstehen Strömungen und Strudel. Wasser verdunstet, Wolkenbildung, Sturm, gigantische Wellen. Im Furor der Elemente versinkt alles im Chaos. Unser Dampframmenarbeiter wird mit seiner geschmolzenen Ramme zuerst in Richtung Hypophyse gespült und dann in den Stirnlappen, wo er in der Erinnerung steckenbleibt.
Er stellt fest, dass er sich ganz tief in der Vergangenheit befindet. Seine Ramme ist wieder ganz, sie hat ihr Verglühen noch weit vor sich. Es ist irgendwann in den Achtzigern. Der Dampframmenarbeiter trägt einen Schnäuzer, eine ärmellose Jeansjacke und einen weißen Bauhelm. Im Hintergrund erklingt: „Like a Virgin“ von Madonna, aber unser Arbeiter ist eindeutig Mitglied der Village People. Padumm! Padumm! Er ist begeistert. Er glättet meine Vergangenheit, erst die Siebzigerjahre, dann die nachfolgenden Jahrzehnte. Am Ende besteht meine komplette Erinnerung nur noch aus zwei Begriffen: „YMCA“ und „Padumm!“
Ich schrecke schweißgebadet hoch. Das Hirn ist eine Müllkippe. Es kommt alles hinein, manches zersetzt sich, aber das Schlimmste bleibt auf ewig deponiert.
07 44
Das Telefon klingelt. Wer jetzt anruft, will mich akustisch verletzen. Der Speer der Neuzeit ist der Klingelton. Er soll ins Herz treffen, bohrt sich ins Gemüt, frisst sich durch die Ohrmuschel und landet tief im Kopf, wo er sein Gift entfaltet. Er ist nicht ignorierbar. Sicher, es ist möglich, das Gespräch nicht anzunehmen. Dennoch wird man sich nicht gleichgültig fühlen. Man wird sich fragen: War es wichtig? Und je mehr man sich fragt, umso potenziell wichtiger wird das verpasste Telefonat, Krankheit, Erbschaft, Tod …
Die Steigerung sind Anrufe mit dem Kennzeichen „anonym“. Jemand will an meinem Leben teilhaben, will aber nicht sagen, wer er ist. Warum sollte ich darauf eingehen? Weil sich der Klingelton in die Mitte meiner Seele bohrt. Er hört auf, setzt wieder an, hört wieder auf. War esein Hilferuf oder eine Chance, die nur einmal im Leben kommt? Am Ende verstummt der Apparat und hinterlässt die bittere Frage, ob nicht doch das Lottobüro angerufen hat, weil irgendein Hauptgewinner seinen Schein versehentlich auf meinen Namen ausgestellt hat, dann verstorben ist und den Fehler, der seine Erben Millionen kosten würde, nicht mehr beheben konnte. Ich gehe dran. Niemand. Schon vorbei. Eine weitere Chance, reich zu werden, ist vertan …
Nun kann ich den Liegezustand verlassen, ich bin wach und kann mich auch setzen. Ich bin jetzt angekommen in der scheinbar realen Welt, die sich von der Welt der Träume nicht unterscheidet, da man beide für real hält, wenn man sie betritt, weshalb es keinen Unterschied macht, ob man in einer Traumwelt lebt oder nicht.
07 46
Ich lebe. Ich fühle mich wohl. Ich weiß, dass diese Feststellung auf irgendeine Art und Weise den Eindruck erzeugt, mir fehle die Tiefe. Das liegt daran,
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