Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
Titel des „Am-meisten-zusagen“ prügeln. Die kleine Kaste derer, die diskutieren und sorgfältig abwägen wollen, wird sich derweil wundern, dass sie im Getöse der Wortklauber nicht zu Wort kommt. Im Durcheinander der Stimmen siegt immer der Krawall über den Geist.
Das kann man wollen. Der Staat als Wohngemeinschaft. In meiner ersten WG wurde über alles basisdemokratisch abgestimmt. Da konnte der Kauf eines Joghurts schon mal in einer mehrstündigen Sitzung beschlossen werden, weil erst ausdiskutiert werden musste, ob linksdrehende oder rechtsdrehende Joghurtkulturen gekauft werden sollten. Am Ende siegte immer Ulrike, weil sie über eine nicht zu ertragende Quäkstimme verfügte, die alle das Ende der Tagung herbeisehnen ließ. Zustimmen hieß, das Prozedere abkürzen. Wunderbar! Das ist direkte Demokratie.
Im Grunde war es ohnehin egal, welcher Joghurt gekauft wurde, denn kaum befand er sich im Kühlschrank, war er auch schon wieder anonym weggefressen. Gerechtigkeit ist eine schwierige Sache.
09 51
Klo. Zähneputzen. Rasieren. Das geht nicht ohne Blick in den Spiegel. Entsetzen.Meine Fresse! Das ist kein Ausruf, sondern exakt das, was ich sehe: meine Fresse! Oder was ist das? Ein Gesicht? Oder was? Morgens im Bad zu stehen hat etwas Desillusionierendes. Wenn etwas schlechte Laune in das Leben der Menschheit gebracht hat, dann war es die Erfindung des Spiegels.
Der Übergang von der nächtlichen Bewusstlosigkeit in den Zustand der Vertikalität erfordert vom Körper offenbar unmenschliche Anstrengungen. Die Nacht hat Spuren hinterlassen. In der Horizontalen haben sich Flüssigkeiten unter der Haut gesammelt, die sich nur langsam wieder verteilen. Die Hautporen haben sich entspannt und bieten ein Bild, dass man von vulkanischen Landschaften kennt. Geschwollene Placken verzerren das, was Gesicht zu nennen eine hoffnungslose Übertreibung wäre. Das muss man alles erst mal verdauen.
Wer mit über 30 gut gelaunt in den Tag startet, ist entweder blind oder noch betrunken. Nein. Der Morgen ist die Tageszeit, um dem Leben ungeschminkt in die vergorene Fratze zu blicken.
Die größte Ungerechtigkeit auf dieser Welt ist die Schönheit. Schöne Menschen haben mehr Erfolg, verdienen mehr, werden bewundert und auf Händen getragen. Das ist ungerecht! Das ist gemein! Das ist Natur! Leider ist es deshalb kaum zu ändern. Selbst bei den Tieren pflanzt sich fort, wer das buntere Gefieder aufweist oder den schöneren Pelz. Starke Behaarung ist zwar beim Menschen eher zweitrangig, vor allem bei Mädchen, dennoch …
Die einzige Möglichkeit, die Diktatur der Schönheit zu durchbrechen, wäre, allen Menschen das Augenlicht zu nehmen. Aber selbst dann bliebe ja immer noch der Geruch, den man riechen, die Haut, die man ertasten, dieStimme, die man hören kann, die klingt wie das Summen der Engel oder krächzt wie eine verrostete Hupe. In einer gerechten Welt müssten alle Sinne abgeschaltet sein. Dann allerdings könnte man auch nicht mehr hören, wenn der Postbote klingelt. Der müsste dann immer mehrfach kommen! Das wäre auch nicht gerecht, wenn ausgerechnet die Postboten unter der neuen Gerechtigkeit leiden müssten. Die Welt ist kompliziert.
09 52
Zurück in die Küche. Noch ein Kaffee. Noch ein weißes Brötchen. Ich will jeden Morgen weiße Brötchen! Ich will immer noch diesbezüglich keine Belehrungen hören. Begriffe wie „Vollkorn“ oder „ausgewogene Ernährung“ haben am Morgen nichts zu suchen. Weiß und knusprig soll es sein. Nur der Aufschnitt wandelt sich. Das Wechselhafte im Leben ist der Belag. Strebt der junge Mensch nach Würsten mit Gesichtern, schreit das Alter nach rohem Fleisch! Mett, Tartar oder Schinken! Roher Schinken soll es sein! Dunkelrot wie Blut und reife Beeren! Mit einer weißen Kante, wie der Bikinirand einer Engländerin nach einem Tag am Strand von Cala d’Or! Geräuchert wie ein Süchtiger, der in der Smokerlounge eingeschlafen ist.
In der Zukunft werden Veganer und Vegetarier für eine schinkenfreie Zukunft werben. Blasse, pickelige und eiweißarme Fleischverächter werden uns Aasfresser und Mörder nennen! Ich werde das lächelnd hinnehmen und ihnen mit der Keule winken.
Die „Initiative für fleischloses und pflanzenfreies Essen – für eine steinbasierte Ernährung e.V.!“ wird allesdaransetzen, das Gesetz zur Durchsetzung anorganischer Ernährung durchzudrücken. Es bleibt zu hoffen, dass die Fleischliebhaber als Traditionalisten der menschlichen Nahrungsaufnahme bei
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