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Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Nuhr
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Kenntnislosigkeit zu erreichen ist. Dann geht es nicht anders: Ein ganzes Volk wird sich hirnamputieren lassen müssen.
    Großes Glück macht sich breit. Die Menschen gackern und glucksen vor überschäumender Freude. Sie würden sicher etwas sagen, wenn ihnen nicht irgendwo auf dem Weg die Sprachkenntnisse verloren gegangen wären. Muss man immer gleich reden? Was niemals vergessen werden darf: Reden ist eine Kulturtechnik, die den Sprachgewaltigen Vorteile verschafft! Redefähigkeit ist also die Vorstufe zur Ungerechtigkeit. Während die Spartaner mein Haus stürmen, stoßen sie deshalb keine Wortehervor, sondern irre Laute, die man aus Indianerfilmen kennt. Schon brennt der Flur.
    Man sichert mir zu, nur das Beste für mein Kind zu wollen. Es soll quasi aus meiner Herrschaft gerettet werden. Ein Staat, der Banken rettet, sei auch in der Lage, Kinder aus ihrer ausweglosen Individualität zu befreien. Die Hopliten kommen die Treppe herauf. Die Rüstung ist schwer, die Truppen marschieren im Gleichschritt, die Stufen beginnen zu schwingen. Als das Treppenhaus bricht, herrscht großes Tohuwabohu. Ich entkomme mit meiner Familie über den Balkon. In der allgemeinen Hektik des häuslichen Zusammenbruchs bemerkt niemand unsere Flucht, wir sind gerettet. Einige Krieger haben sich Arme gebrochen, andere Beine. Aus Gründen der Gerechtigkeit wird nun allen Unverletzten ebenfalls irgendetwas gebrochen. Auch eine verlorene Schlacht darf nicht in Ungleichheit münden.
    Wir sind unterwegs und wissen nicht genau, wohin. Wohin kann man heute noch, wenn man entkommen möchte? Meiner Tochter ist es egal. Sie spricht aufgrund ihrer elitären Bildung ganze Sätze und beteuert, dass sie, wahrscheinlich aufgrund dauernder Gehirnwäsche durch ihre ideologisch schwachen Eltern, den Wunsch verspüre, bei uns zu bleiben, bei ihrer Familie, sie fühle sich hier geborgen. In staatsbürgerlicher Verantwortung sollte ich an dieser Stelle selbstkritisch fragen: Was haben wir nur falsch gemacht? Ich weiß es nicht.
    09 47
Gedankenverloren starre ich auf meine leere Tasse Espresso. Meine kriegerischen Visionen haben mich verunsichert und ausder Naivität meines behüteten Morgens geworfen. Es ist nicht schön daran erinnert zu werden, dass die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften die Geschichte von Klassenkämpfen ist. Ein guter Satz! Muss ich mir merken! Egal.
    Jedenfalls hat sich die Menschheit weiterentwickelt vom gehobenen Affenrudel zur bürgerlichen Gesellschaft. Nun geht es eben wieder zurück. Das ist wahrscheinlich normal. Die Saurier haben es schwerer gehabt. Deren Aussterben kam ganz plötzlich. Bei uns wird es langsam gehen. Dann gehen wir wieder auf vier Beinen und erinnern uns nicht mehr daran, wie man eine Zentralheizung baut oder wie eine Klospülung funktioniert.
    Vielleicht war es von Anfang an ein Fehler, das Affenrudel zu verlassen und aufrecht durch die Welt zu laufen. Auch in der Affengroßfamilie gab es Hierarchien, aber der Clan war überschaubar. Leider lässt sich eine Welt mit sieben Milliarden Menschen so nicht organisieren. An diesem Punkt stellen sich exakt zwei Fragen: Wie groß darf die Erdbevölkerung sein, um eine befriedigende Sozialstruktur zu ermöglichen? Und: Wie beseitigen wir den Rest? Beziehungsweise: Wer? Wohin? Unter wessen Leitung? Wer bestimmt? Mit welchem Recht? Wann?
    Es ist gut, dass ich montags morgens zu Hause sitze. Da muss ich die Fragen nicht anderen beantworten, sondern nur mir selbst. Das ist weniger peinlich als unorganisiertes Herumstottern in der Öffentlichkeit.
    Montags morgens dürfen auch naive Fragen gestellt werden: Warum können sich die Starken und die Schwachen auf dieser Welt nicht einfach auf eine Zusammenarbeit verständigen? Das liegt daran: Die Welt ist keine Wohngemeinschaft. Und schon in der Wohngemeinschaftklappt das Zusammenleben nicht ohne Konflikte. Schon bei den Reinlichkeitsvorstellungen beginnen meist die Streitigkeiten.
    Socken auf dem Couchtisch, Tomatensoße auf dem Sofa. Das Leben kann so niederträchtig sein! Das ist die normative Kraft des Faktischen. Der Mensch ist leider nicht zum zivilisierten Zusammenleben geschaffen, sondern im Rahmen der Evolution entwickelt worden, also nicht zum Ziel der Schaffung einer gerechten und geordneten Welt, sondern im strategischen Kampf ums Überleben. Wenn es einen Gott gäbe, würde ich ihm dies zum Vorwurf machen. Leider ist er nie da, wenn man ein gutes Argument hat. Das kann zwei Ursachen haben: Entweder er

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