Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
aktivitätsfreie Tage normalerweise ein schlechtes Gewissen. Heute wische ich das beiseite. Es reicht, wenn die Sonne arbeitet. Unter ungeheurem Druck fusionieren die Wasserstoffkerne zu Helium, eruptive Protuberanzen schießen ins All. Dennoch scheint unser Stern durchgehend frühlingshaft gelassen. Die Sonne erzeugt keine drückende Hitze, sondern sorgt für angenehme Wärme.
Im Frühjahr ist unser Zentralgestirn wie ein perfekt angeheizter Kamin, gemütlich und entspannend. Wölkchen bewegen sich über den Himmel wie spielende Albinohamster. Laue Lüftchen adeln die feudale Atmosphäre! Es riecht nach edlem Hochdruckwetter. Die Frische des frühen Morgens ist vergangen.
Ich sinke in den Gartenstuhl. Von ferne höre ich, wie die Mittelklassewagen TÜV-geprüft und abgasreduziert, ja geradezu geruchlos ihrem Ziel entgegenschnurren. Das postmoderne Automobil ist ein Sinnbild unserer Zeit. Physikalische Prozesse und chemische Reaktionen treiben es vorwärts, sehr gefährlich, denn das Auto ist ein Teufelsgerät, in dem hochexplosive Flüssigkeiten durch gezielt herbeigeführte Detonationen Kolbenkraft erzeugen! Wahnsinn! Aber wir haben das im Griff. Tonnenweise Stahl und Dämmung zähmen das Raubtier und machen es zum elegant dahintrabenden Lipizzaner. Unsere Ingenieure sind Teufelskerle, meistens zumindest, denn Frauen sind in technischen Berufen unterrepräsentiert.
Früher war man froh, wenn man lebend das Reiseziel erreichte. Im Wald, da waren nicht nur sprichwörtlich die Räuber. Man wurde überfallen, entführt, als Sklave verkauft oder erschossen, erstochen, erwürgt oder gelyncht, gern auch alles zusammen. An der Zollstelle wurde man ausgenommen, bevor man ohne Geld mit letzter Kraft am Hafen ankam, wo man sich für die Neue Welt einschiffte. Dann verlor man erst das Land aus den Augen, dann die Zähne aus dem Mund und am Ende den Verstand, bevor man an einer Insel strandete und von den Einheimischen gehäutet wurde. Ein paar kamen auch durch, erzählten maßlos überzogene Heldengeschichten und vergaßen zu erwähnen, dass die Hälfte der Besatzung nicht nur ums Leben gekommen, sondern auch noch vom Rest der Belegschaft verzehrt oder als Mätressen missbraucht worden war, mangels Südfrüchten oder Damen.
Heute gilt auf Reisen eine kaputte Klimaanlage als Gefährdung der Existenz. Rentner verklagen die Bahngesellschaft auf Schmerzensgeld, weil sie durch den Luftzug einen Schnupfen davongetragen haben, Studenten nörgeln, weil ihr Grundrecht auf unbegrenzte Mobilität Geld kostet, und Damen verzweifeln, weil sie im Glauben an die Unversehrbarkeit ihres fahrbaren Untersatzes ohne Jacke losgefahren sind und nun eine halbe Stunde bei 18 Grad im Schatten auf den ADAC-Pannenservice warten müssen. Das Leid auf der Erde ist vielleicht ungleich verteilt, aber es wird überall gleich stark empfunden. Andere Generationen lebten im Krieg. Wir haben Stau.
Rot-weiße Baken zeugen davon, dass unser Verkehrsminister der oberste Seelsorger der Bürger ist. Er sorgt dafür, dass die Wege des Herrn gepflastert werden. Leider muss deshalb immer öfter und länger gearbeitet werden. Der Normalzustand einer Straße ist nicht mehr das „Fertigsein“. Die Fahrbahn an sich definiert sich durch ihre Instandsetzung. Gelbe Linien schmälern den Fahrstreifen und betonen durch bloßes Dasein ihre Allmächtigkeit.
In wenigen Monaten wird hier ein Arbeiter vorbeischauen und nachsehen, wo man anfangen könnte. Wann er kommt, liegt in der Hand Gottes – oder der Verkehrsbehörde. Nicht wenige vermuten deshalb, dass Gott und die Verkehrsbehörde identisch sind. Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass Gott in der Verkehrsbehörde Dezernent ist, maximal Staatssekretär.
Gottes Wege sind wundersam, die Straßen aber, über die die Verkehrsbehörde wacht, unterliegen steter Überwachung. „Padumm! Padumm!“ Mein Freund mit der Dampframme hat sein ausgiebiges Frühstück beendet undmeldet sich zurück. Wenn Gott wirklich der Schöpfer aller Dinge ist, dann hat er die Dampframme eigenhändig erschaffen. Männer mögen so etwas. Und Gott ist ein Mann. Sonst würde er ab und zu vorbeischauen und seine Sozialkontakte besser pflegen.
Mir fällt auf, dass das Vorgehen der Straßenbauer dem Gottes diametral entgegengesetzt ist. Gott setzt im Universum auf Expansion, also das Gegenteil von Verdichtung. Der Kosmos expandiert, der Mensch aber komprimiert das Erdreich, um in der Folge eine weitere Schicht aufzutragen, die am Ende mit Asphalt
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