Das Geheimnis des perfekten Tages (German Edition)
dass so ein Piepton auch nicht mehr bewirkt, als dass man hört, dass es piept. Er aber lasse sich davon nicht terrorisieren. Ich bewundere seine stoische Gelassenheit, die vermutlich auf langjährigem Training beruht. Wahrscheinlich ist er das letzte Mal in Hektik gewesen, als er als Samenzelle zur Befruchtung unterwegs war. Mit seinem grandiosen Sieg hat er bereits so viel mehr erreicht, als zu erwarten war, dass er nun beschlossen hat, sich nicht mehr aufzuregen. „Nur net nei stresse losse!“, sagt er in einem Dialekt, der weniger einem Landstrich als einer Geisteshaltung zu entstammen scheint. Gratuliere! Der Mann hat’s raus! Die Dose Bier geleert und weiter! Die Welt wartet auf Pakete.
Irgendwo hat vielleicht jemand Fußschaum mit Blaualge und Seeseide bestellt. Er hat das Wasser eingelassen und freut sich auf seinen Wellnessabend. Man sollte ihn nicht im Stich lassen.
Man sollte mehr genießen! Sich viel öfter auf seinen fetten Sitzrasenmäher mit 13 Liter Tankvolumen, pendelnder Gussvorderachse, siebenfacher Schnitthöhenverstellung und elektrischer Messerkupplung setzen und inden Sonnenuntergang mähen, bis das T-Shirt voller Gras und Öl ist. Dann würde man die Wäsche zu Mutter bringen, die endlich wieder glaubhaft versichern könnte, dass sie die Flecken „nie mehr herausbekommen würde“. Die Welt wäre in Ordnung. Wie früher. Natürlich war die Welt früher nicht besser. Es gab damals nicht mal Colorwaschmittel. Aber während man das Jetzt schonungslos wahrnimmt, wie es ist, nimmt das Vergangene mit jedem Tag an Schönheit zu. Das sollte uns trösten, denn es bedeutet, dass heute die „gute, alte Zeit“ von morgen ist. Prost!
SITZSACK
Ein Sitzsack ist ein formidables Möbelstück. Es passt sich dem Körper an wie eine Vakuummatratze, die bei Unfällen mit Wirbelsäulenverletzten zum Transport benutzt wird. Man hängt darin wie eingegipst und wird dadurch schwerelos, ein Zustand vergleichbar mit dem im Mutterbauch. Es soll Menschen gegeben haben, die im Sitzsack verhungert sind, weil sie gedacht haben, ihr Stoffwechsel würde nun wieder über die Plazenta geregelt. Das ist nicht der Fall. Es ist geradezu fahrlässig, dass dem Sitzsack keine Gebrauchsanleitung beiliegt, in der auf diesen Umstand hingewiesen wird.
Wenn dann das Telefon klingelt, bleibt man als Sackbenutzer einfach sitzen. Störungen sind in solch entspannter Lage nicht tolerabel. Wenn es wichtig ist, ruft der Idiot mit Sicherheit noch einmal an, wenn nicht, dann eben nicht. Am Ende aber war es mit Sicherheit wieder Mutter, die fragen wollte, warum man nicht selber angerufen hat. Dann fragt man sich, ob sie mir solche Fragen schon gestellt hat, als ich noch in ihrem Bauch wohnte. Wahrscheinlich.
18 28
Ich weiß nicht, warum mir die Welt so neblig erscheint. Ist es die schwache Wechselwirkung, die starke Wechselwirkung oder die elektromagnetische Kraft? Nein. Es ist die Schwerkraft, die mich nach unten zieht. Ein Gravitationsschlund vernebelt die Welt. Das ist nicht unangenehm! Bierbedingte Assoziationsketten lassen die Schöpfung als bunte Wundertüte erscheinen.
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.
Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.
Wer so etwas schreibt, hat schon zu viel gesoffen. Es ist die große Kunst des Trinkens, Zeitpunkt und Menge so zu bestimmen, dass der Zustand des Großhirns in der Schwebe zwischen Euphorie und Gelassenheit verweilt. Hermann Hesse, von ihm stammen die obigen Zeilen, hat es in diesem Fall offenbar vergeigt. Besser ist Folgendes:
Die dir Großes versprechen,
versprechen sich meistens dabei.
Mach deine eigenen Zechen,
taumle dich frei.
Du musst dir alles geben,
Dämmern und Morgenrot,
unendlich laß dich leben,
oder bleib ewig tot.
Auch Konstantin Wecker schrieb seine besten Sachen angeblich im Vollrausch. Bewusstsein ist offenbar schädlich für Lyriker. Im Rausch aber entsteht das Existenzielle. Und um an einen katholischen Kitsch zu glauben wie an das unendliche Leben, das man sich im Diesseits erarbeiten muss, kommt man wahrscheinlich mit Alkohol gar nicht mehr aus. Da braucht es schweres Zeug, Weihrauch, die ganze Palette. Der berauschte Autor kennt nichts außer Leben und Tod. Gravitationsstrudel. Dann muss man aufpassen, dass man nicht hinuntergesogen wird:
Hab ich in deinem Arm
Weitere Kostenlose Bücher