Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
einem hilflosen Achselzucken. »Wenn mir etwas geschieht, werden euch diese Amulette beschützen. Sie können Schicksalsschläge nicht verhindern, aber sie mildern sie ab. Sie bewirken, dass man freundliche Menschen trifft, nicht allein bleibt, Hilfe findet. Und falls ihr einander einmal verlieren solltet, machen die Amulette, dass ihr wieder zusammenkommt. Also tragt sie immer.«
Eingeschüchtert halfen die Mädchen sich gegenseitig, die Kettchen anzulegen, und hängten auch Bumbum seines um den Hals. Mit großen Augen ließ er es geschehen, umarmte nur die gelbe Ente etwas fester.
»Willst du dein Amulett nicht auch anlegen?«, fragte Rafaela und zeigte auf das vierte, das ihre Mutter noch immer in der Hand hielt.
»Das ist nicht für mich«, sagte Graviata. »Ich habe diese Amulette für meine Kinder gemacht.« Sie ließ die letzte Kette zurück in das Säckchen rieseln und schaute etwas unsicher zwischen ihren Töchtern hin und her. Schließlich drückte sie es Rafaela in die Hand.
»Du bist die Ältere«, sagte sie, »du hast die Verantwortung. Doch ich will, dass ihr beide gemeinsam, du und Lulu, so bald wie möglich Damiano aufsucht und ihm das Amulett gebt. Erklärt ihm, was es damit auf sich hat, und schärft ihm ein, was ich euch eingeschärft habe. Und jetzt reden wir nicht mehr über die Sache.«
Gewandt kletterte sie auf den Kutschbock, ließ die Pferde anziehen und schnitt so alle weiteren Fragen ab. Der Wagen ruckelte über den wurzeligen Waldweg, die Vögel lärmten in den Bäumen und ganz oben über den Wipfeln flog Corinas Krähenschar.
»Du hast Mama also beobachtet, wie sie Amulette gemacht hat«, stellte Rafaela fest.
Lulu nickte.
»Gibt es sonst noch etwas, das ich nicht weiß?«
Lulu nickte wieder.
Rafaela seufzte und verdrehte die Augen. »Jetzt komm schon raus damit! Lass dir nicht alles einzeln aus der Nase ziehen.«
Lulu wollte erzählen, sie brannte sogar darauf, aber sie kam nicht dazu. Der Wagen ruckelte und rumpelte, die Vögel im Wald lärmten, die Pferdehufe klackerten, und zu allem Überfluss hatte Graviata oben auf dem Kutschbock lauthals zu singen begonnen, als gäbe es nichts auf der Welt, das ihr Sorge bereitete. Jetzt zückte sie ihre Trompete, setzte sie an und blies ein herausfordernd schrilles Kutschersignal.
»He ihr Trantüten!«, rief sie. »Der Wald liegt hinter uns, die Welt vor uns. Jetzt singen wir alle zusammen das Lied vom langen Weg nach Sarracant!«
Lulu und Rafaela schauten sich an und verdrehten die Augen. Aber es half nichts.
»Lang, schrecklich lang ist der Weg nach Sarracant«, stimmte Graviata an und ließ die Peitsche knallen.
»Wohl zwanzig Meilen lang ist der Weg nach Sarracant«, fielen die Mädchen ein.
»Bumbum«, sang Bumbum und schwenkte seine Ente im Takt.
Als sie durch ein Dorf fuhren, blinkerten Sonnenstrahlen in den Fensterscheiben und brachten die Ziegeldächer zum Leuchten. Vor den Häusern und in den Gärten hielten die Menschen in ihrer Arbeit inne, lachten und winkten dem Wagen und seinen singenden Insassen zu. Hoch oben in der Luft kreischte Corina mit ihren Kumpanen.
Vielleicht wird alles gut, dachte Lulu und winkte zurück.
Um die Mittagsstunde lenkte Graviata den Wagen an ein Bachufer, zog die Bremse an und verkündete, sie brauche eine kleine Pause. Seufzend kletterte sie vom Bock und legte sich ins Gras. Den Mädchen blieb es überlassen, die Tiere zu versorgen und ein Picknick zu richten. Sie tränkten die Pferde, hängten ihnen Futtersäcke um, breiteten eine Decke aus und hoben Bumbum aus dem Wagen. Da stand er dann, presste seine Ente an sich und sah sich mit großen Augen um.
»Bumbum?«, fragte er zaghaft. »Bumbum?«
»Sie sind nicht da«, antwortete Lulu etwas unwirsch. »Sie wollten nicht mitkommen. Erinnerst du dich?«
Da verzog der Kleine seine Unterlippe und begann jämmerlich zu weinen. »Bumbum!«, schluchzte er untröstlich und zeigte mit seinem kurzen Finger auf die Welt um ihn herum, wo alles Mögliche war, Blumen, Schmetterlinge, Krabbeltiere, aber kein einziger Gobbling. Sein ganzes Leben lang waren sie da gewesen, immer. Doch nun waren sie fort.
Graviata nahm ihren kleinen Sohn in die Arme, küsste und wiegte ihn und erklärte, dass die Gobblings daheimgeblieben seien, um auf ihr Haus aufzupassen, dass sie ganz sicher dort blieben und auf sie warteten und dass sie sehr bald alle wieder zusammen sein würden, so wie es immer gewesen war. Es gebe nun einmal Orte, sagte sie, die Gobblings nicht
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