Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
Käfig verstaute. Vor dem Wagen sah er sich um, bemerkte, dass keiner seiner Verwandten ihn begleitete, und schwups, schnell wie der Wind, verschwand er vom Wagen und schloss sich der Mehrheit an. Vor dem Haus standen sie alle in einer Reihe, unbeweglich, still und starr, eine winzige Mauer menschenartig aussehender Geisterchen.
Etwas Seltsameres und Unheimlicheres hatte Lulu noch nie gesehen. Keiner von ihnen. Selbst Graviata war sprachlos, jedoch erholte sie sich als Erste, verbeugte sich vor den Gobblings und machte eine einladende Bewegung zum Wagen hin. Nicht einmal diese Geste imitierten sie. Keine Reaktion. Sie versuchten es alle, Lulu, Bumbum, Rafaela – ohne Ergebnis. Die Gobblings reagierten nicht.
»Es hat keinen Zweck«, sagte Graviata endlich mit müder Stimme. »Steigt ein, wir fahren ohne sie.«
»Nein!«, rief Lulu. »Lass uns hierbleiben, Mama! Das ist ein schlechtes Zeichen!«
Doch Graviata schüttelte den Kopf. »Du verstehst nicht, Lulu. Der Kronprinz bittet mich zwar in den Palast, aber das ist nur so eine Redensart. Jemand wie er bittet nicht, er befiehlt. Wir haben keine Wahl.«
Also stiegen sie ein. Lulu und Bumbum mit seiner gelben Stoffente setzten sich auf die eine Sitzbank, Rafaela mit Kralles Käfig auf die gegenüberliegende, Murks, der Traurige Ralf und Captain Sabber lagen irgendwie umeinandergerollt auf dem Boden. Graviata kletterte auf den Kutschbock und ließ die Pferde anziehen, langsam rollten sie los. Ein Krähenschwarm erhob sich kreischend von den Bäumen und begleitete sie.
»Dem Himmel sei Dank!«, flüsterte Lulu. Sie hätte es nicht verkraftet, wenn Corina und ihre Gesellen sie auch im Stich gelassen hätten.
Hinter dem äußeren Ring hielt Graviata den Wagen an, stieg vom Kutschbock und errichtete den Bann.
»Damit keiner im Haus rumschnüffelt, wenn wir nicht da sind«, brummte sie und schickte sich an, wieder auf den Bock zu klettern. Doch sie überlegte es sich anders, blieb stehen und wühlte in ihrer Rocktasche.
»Ich hab was für euch«, sagte sie und zog ein Säckchen hervor. »Eigentlich wollte ich es euch erst später geben, aber …« Sie ließ den Satz unvollendet, hielt vier Schmuckstücke hoch, wenn man die Dinger denn so nennen wollte. Es waren schwarzgraue Anhänger an ebenso dunklen Halskettchen. »Ich möchte, dass ihr die jetzt anlegt und niemals, hört ihr, niemals abnehmt!«
»Diese Dinger?«, sagte Rafaela mit einer Stimme, als handele es sich um Hundeköttel.
»Es sind Amulette«, erklärte Graviata. »Es hat mich viel Zeit und Mühe gekostet, sie herzustellen. Einmal hast du mich dabei beobachtet, Lulu.«
Lulu nickte schwach.
»Die ersten, die ich gemacht habe, sind nichts geworden«, fuhr Graviata fort. »Auch die zweiten nicht und die dritten auch nicht. Ich hab vergessen, wie viele Versuche ich gebraucht habe, aber diese hier sind perfekt. Legt sie an!«
»Ich finde, sie sind so …« Rafaela verkündete lieber doch nicht, wie sie die Amulette fand.
»Sie sind aus Gold«, sagte Graviata. »Ich habe sie geschwärzt, damit man sie euch nicht stiehlt. In der Stadt wimmelt es von geschickten Dieben.«
»Oh, Gold!« Diese Information bewirkte immerhin, dass Rafaela ihr Amulett in die Hand nahm und genauer betrachtete. »Aber die Anhänger sind so …« Wieder ließ sie den Satz unvollendet.
»Sie machen Angst«, sagte Lulu.
»Nur auf den ersten Blick. Schaut sie ruhig etwas länger an!«
Jeder Anhänger war eine sorgfältig gearbeitete dämonische Fratze. Es kostete Überwindung, sie länger als einen Wimpernschlag lang zu betrachten. Doch wenn man durchhielt, geschah etwas Eigenartiges: Die Fratze verwandelte sich. Das Grinsen wurde zum Lächeln, die bösartigen Züge verschwanden, ein freundliches Gesicht erschien, schwer zu sagen, ob männlich oder weiblich, jedoch die Güte in diesem Gesicht war eindeutig.
Stumm vor Staunen sahen die Kinder diese Verwandlung.
»Ich wollte erreichen, dass niemand euch diese Amulette stiehlt«, erklärte Graviata. »Deshalb wirken sie auf den ersten Blick wertlos, sogar abstoßend. Niemand will so etwas haben. Doch ihr Zauber ist mächtig. Sie werden euch beschützen, wenn ich einmal nicht mehr in der Lage dazu sein sollte.«
Mit einer herrischen Geste brachte sie den Proteststurm ihrer Töchter zum Schweigen. »Ich werde alles tun, was ich kann, damit dieser Tag nie eintritt. Und glaubt mir, ich kann viel. Aber …« Sie brach ab und suchte nach Worten. »Aber man weiß nie«, sagte sie mit
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