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Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman

Titel: Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette John
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entspannt wie immer. »So ein Traum ist beängstigend, aber nicht schlimm. Und Jovindas Worte bedeuten gar nichts. Zerbrich dir nicht länger den Kopf. Du hast deine Sache wunderbar gemacht. Es muss doch schrecklich gewesen sein, diesen schwierigen Text zu behalten. Wie ich dich kenne, hast du in den letzten Nächten kein Auge zugetan aus lauter Angst, ihn zu vergessen.«
    »Jaahhh«, gähnte Lulu.
    »Und jetzt vergiss die Worte und den bösen Traum!« Sanft strich sie ihrer Tochter über die Stirn. Text und Traum verschwanden aus Lulus Gedanken, als hätte es sie nie gegeben.
    In dieser Nacht schlief Lulu wunderbar. Aber zu kurz. Sie wurde im Morgengrauen wach, warum, wusste sie nicht. Im Haus war es still. Draußen im Wald begann der erste Vogel zaghaft zu fiepen, ein viel zu schwaches Geräusch, um davon wach zu werden. Lulu wälzte sich ein bisschen hin und her und beschloss, auf die Toilette zu gehen, mehr aus Langeweile als von einem wirklichen Bedürfnis getrieben.
    Als sie auf dem Flur war, hörte sie ein leises Klingen, Metall auf Metall, das aus Graviatas Labor zu kommen schien. Auf bloßen Füßen schlich Lulu die Treppe hinunter, huschte durch die dunkle Diele und den ebenso finsteren Salon, der nur benutzt wurde, wenn Graviata Kundschaft hatte. Dahinter lag das Labor. Die Tür war geschlossen, aber Licht drang durch einen Spalt zwischen Türblatt und Boden und durch das Schlüsselloch. Das dünne Klingen kam eindeutig aus diesem Raum.
    Lulu zitterte. Der ganz frühe Morgen im Wald war kühl, auch im Hochsommer, aber eigentlich zitterte sie mehr aus Angst, erwischt zu werden. Graviatas Arbeit im Labor war für die Kinder tabu. Lulu kämpfte kurz mit sich, dann spähte sie durch das Schüsselloch. Graviata saß über ihren Arbeitstisch gebeugt, das Profil Lulu zugewandt, beleuchtet von einer kleinen, blauen Flamme, die aus einem Stab zu wachsen schien. Sie feilte und schabte an etwas sehr Kleinem, Schimmerndem herum, nahm den Stab, hielt die Flamme an das, was sie herstellte, hämmerte mit einem zierlichen Hammer, feilte, schabte und bohrte. Unentwegt murmelte sie etwas vor sich hin, als spräche sie ein Gebet.
    Lulu konnte nichts verstehen, aber sie hätte wetten mögen, dass es Worte aus der alten Hexensprache waren. Ihre Mutter war offensichtlich, sofort nachdem Lulu eingeschlafen war, ins Labor gegangen, hatte sich noch nicht mal die Zeit genommen, bequemere Kleidung anzuziehen, trug immer noch das rote Reitkostüm. Lediglich eine Schürze hatte sie umgebunden und die Stiefel ausgezogen. Ihre Füße steckten in Wollsocken und die Fersen wippten nervös auf und ab. Sie schien sehr müde zu sein, immer wieder rieb sie sich mit dem Handrücken die Augen, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, ohne ihre Werkzeuge auch nur für einen Moment beiseitezulegen.
    Was macht sie da?, überlegte Lulu. Es sah fast so aus, als stelle sie Schmuckstücke her. Aber warum sollte sie das tun? Vor allem, warum sollte sie es heimlich in der Nacht tun und in solch offensichtlicher Eile?
    Und plötzlich wusste Lulu die Antwort. Es waren Amulette. Graviata stellte Amulette her, Schutzamulette wahrscheinlich.
    »Oh, Mist!«, flüsterte sie oder vielleicht dachte sie es auch nur. Doch wie auch immer, es war zu laut.
    »Ab ins Bett, Lulu!«, rief Graviata, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen.
    Und Lulu floh nach oben, die Treppe hinauf, in ihr Zimmer, in ihr Bett, wühlte sich zitternd in ihre Kissen, rieb die kalten Füße aneinander und hoffte vergebens, wieder einschlafen zu können. Irgendwann gab sie jeden Versuch auf. Sie kramte Bumbums Rosinen unter dem Kopfkissen hervor und wünschte sehnlichst, sie hätte nicht spioniert.

4. Kapitel
    D er schreckliche Traum war für immer aus Lulus Kopf verschwunden, die Worte aber, Jovindas geheime Botschaft, kehrten zurück. Sie kamen am nächsten Morgen mit Corina, der Krähe. Die setzte sich auf Lulus Schulter, und augenblicklich erinnerte sich Lulu an jedes seven , an gran und sude und borleif . Ihr erster Gedanke war, zu Graviata zu laufen und sich zu beschweren: »He, Mama, dein Gedächtniszauber wirkt nicht!«, aber sie ließ es bleiben. Vielleicht war es wichtig, dass sie sich an die Worte erinnerte. Außerdem hätte Graviata, wenn sie herausfand, dass Corina das Vergessen der Botschaft verhinderte, sie bestimmt fortgeschickt. Lulu wollte nicht, dass Corina fortgeschickt wurde, die Krähe war ihre beste Freundin geworden. Man braucht Freunde, dachte Lulu, vor allem, wenn man sich

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