Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
ging zur Tür und lachte geschmeichelt. Unfassbar, wie schnell sie sich von einem wilden Hexentier wieder in eine schöne Frau verwandelt hatte, die Komplimente entgegennahm wie ihr gebührenden Tribut.
»Wo Ihr gerade von Thronsaal sprecht«, meinte sie, »ich brauche von Euch eine Art hochprinzliches Dekret, ein Schießverbot für Soldaten, Parkwächter und Gärtner zum Schutz meiner Tiere.«
»Betrachtet diesen Befehl als ausgesprochen«, antwortete Prinz Dorvid. »Wenn mir diese, äh, Krankheit nicht dazwischengekommen wäre, hätte ich ihn längst herausgegeben. Meine Mutter, die Königin, wird sich an den Anblick von ein paar vulgären Tieren gewöhnen.«
Graviata dankte ihm und verließ den Raum. Der Kronprinz stand vor dem Spiegel und betrachtete glücklich sein Gesicht. Er ließ die Decke fallen und strich selbstvergessen über die schöne, reine Haut seines Körpers.
Das war für Lulu und Rafaela das eindeutige Signal zum Rückzug. Unendlich vorsichtig krabbelten sie über den Anbau und huschten über das Verandadach zu Rafaelas Zimmer. Es war schrecklich kalt gewesen da draußen, trotz der Decken. Jetzt in der Wärme und im Schutz des Raumes konnten sie sich endlich erlauben, mit den Zähnen zu klappern und herumzuhüpfen, um ihre kalten, steifen Glieder aufzuwärmen. Ein heißes Bad wäre wunderbar gewesen, aber das ging natürlich nicht. Nicht um diese Zeit. Sie schauten nach Bumbum. Er schlief, zum Glück. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn er aufgewacht und sich auf die Suche nach ihnen gemacht hätte.
Dann legten sie sich zusammen in Lulus Zimmer ins Bett. Es lag auf der anderen Seite des Hauses, und sie hatten beide, ohne darüber zu sprechen, den Wunsch, so weit wie möglich vom Kabinett, dem Ort ihres Verbrechens, entfernt zu sein. Denn ein Verbrechen war es, was sie getan hatten, das war ihnen klar. Zumindest nach Graviatas Definition. Und eigentlich auch nach ihrer eigenen. Sie hätten das nicht sehen sollen.
»Ich möchte keine Hexe werden, wenn ich groß bin«, flüsterte Lulu zähneklappernd. Die Kälte wollte gar nicht verschwinden. Rafaela zog die Decke ganz über ihre Köpfe und schmiegte sich dicht an sie, um sie zu wärmen.
»Ich möchte so etwas niemals tun, für niemanden, auch nicht für einen Kronprinzen.« Sie schüttelte sich. »Ich bin bloß froh, dass sie nicht aus seinem Hintern wieder rausgekommen ist.«
»Du bist unmöglich«, kicherte Rafaela.
Da musste Lulu auch kichern. »Aus seinem Hintern«, wiederholten beide immer wieder, »wie ein Furz!«
Irgendwann schlief Rafaela ein. Lulu lag da, hörte ihre regelmäßigen Atemzüge und beneidete ihre Schwester. Sie konnte nicht schlafen. Sie hatte zu viel zum Grübeln. Eigentlich war es für sie immer klar gewesen, dass sie eines Tages auch eine Hexe sein würde, wie ihre Mama, doch jetzt hatte sie ernste Zweifel. Bloß gut, dass sie noch viel Zeit hatte. Sie war noch ein Kind und Kinder wurden keine Hexen. Die lernten ein paar Zaubersprüche und trainierten ihr Gedächtnis, aber die eigentliche Hexenausbildung kam erst viel später, wenn man erwachsen war, wenn man wusste, wofür man sich entschied, weil man etwas vom Leben gesehen hatte. Und dann, wenn man eine Hexe war, spielte Zeit keine Rolle mehr. Hexen hatten viel Zeit, die großen Magier auch, mehr als andere Leute. Alt wurden sie nur, wenn sie es wollten. So wie Jovinda.
Als sie an Jovinda dachte, musste Lulu wieder an den Schein denken, den Evchen angeblich gesehen hatte und der Unglück bringen sollte. Geschah das Unglück schon? Graviata hatte Amulette hergestellt. Und ach, die Gobblings waren nicht mitgekommen. Brachten Gobblings wirklich Glück, oder dachten die Leute das, weil die Gobblings nur bei glücklichen Leuten wohnten? Das war ein Unterschied, ein ziemlich großer sogar. War sie früher glücklich gewesen, zehn Jahre lang, und hatte es nicht gewusst? War sie jetzt unglücklich, weil die Gobblings fort waren, oder waren die Gobblings fort, weil sie unglücklich war? Immer mehr Fragen, die sich im Kreis drehten, immer verrückter, immer schneller.
Erst als Lulu daheim war, im Haus im Wald, und Else, die Köchin, auch dort war, sie anschaute und sagte: »Nein, ich habe den Prinzen nicht gekocht. Ich bin keine Hexe, deine Mutter hätte sofort gemerkt, wenn ich eine wäre. Eine Hexe erkennt eine andere immer. Du hättest es auch gewusst. Du weißt viel.« Erst da merkte Lulu, dass sie träumte, dass sie also eingeschlafen war, und sie
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