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Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman

Titel: Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette John
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Sie legte den Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete ihr, aufzustehen und dabei sehr, sehr leise zu sein. Etwas benommen stieg Lulu aus dem Bett und folgte ihr über den Flur in Rafaelas Zimmer. Das Fenster stand weit auf. Rafaela packte eine Wolldecke vom Bett und noch eine, die über einen Sessel gebreitet war, und warf beide aus dem Fenster.
    »Was …?«, rief Lulu, doch Rafaela hielt ihr die Hand vor den Mund.
    »Psst!«, machte sie. »Du musst still sein! Mäuschenstill. Dann kann ich dir etwas Schreckliches zeigen.«
    Lulu wusste nicht genau, ob sie etwas Schreckliches sehen wollte, aber Rafaela ließ ihr keine Zeit nachzudenken. Sie schwang sich über die Fensterbrüstung und hüpfte hinaus. Lulu blieb fast das Herz stehen, bis ihr einfiel, dass das Vordach der Veranda dicht unterhalb der Fenster um drei Seiten des Hauses herumlief. Sie atmete tief durch und folgte Rafaela. Die hatte eine der Decken aufgehoben, bedeutete Lulu, die andere zu nehmen, und flitzte auf bloßen Füßen lautlos wie eine Katze über das Verandadach zur Giebelseite. Lulu folgte ihr, so schnell und so leise sie konnte.
    Die Stimmen und Geräusche schienen lauter zu werden, je mehr sie sich dem Ende der Veranda näherten. Lulu kannte das Haus noch nicht besonders gut, doch sie vermutete, dass in Graviatas Labor irgendwo ein Fenster offen stand und dass sie genau dorthin unterwegs waren. Es war eine kühle Nacht, der Herbst hatte begonnen, doch Lulu brach der Schweiß aus, wenn sie daran dachte, was ihnen blühte, wenn sie erwischt wurden. Nicht nur, dass sie Graviata in ihrem Labor belauschen wollten, was ja für sich genommen schon ein Vergehen war, sie wollten es sogar tun, während ihre Mutter einen Kunden versorgte, und dieser Kunde war mit Sicherheit niemand anderer als Prinz Dorvid, der Thronfolger. Das war ein Kapitalverbrechen. Dafür wurde man bestimmt gehenkt oder zumindest bis an sein Lebensende mit Hausarrest bestraft.
    Rafaela blieb stehen und wartete, bis Lulu sie eingeholt hatte. Sie deutete auf das Ende des Vordachs, an das sich, nur geringfügig höher, ein Anbau anschloss. Aus dem Dach des Anbaus strahlte Licht, die Stimmen waren nicht mehr bloß Gemurmel. Wenn man sich konzentrierte, konnte man verstehen, was sie sagten.
    »Das ist das Kabinett«, flüsterte Rafaela. »Dort sind sie drin. Unten sind alle Fenster fest verschlossen. Sogar die Läden sind zu. Aber das Kabinett hat zwei große Dachfenster, die haben sie vergessen. Eins davon ist offen.« Sie zeigte in die Richtung des Lichts. »Wir gehen da jetzt rauf, kriechen zum Fenster und gucken rein. Mach nicht so ein ängstliches Gesicht. Wenn wir wissen wollen, was auf uns zukommt, brauchen wir Informationen. Und nimm deine Decke mit, es ist kalt. Nicht, dass wir uns durch Zähneklappern oder Niesen verraten.«
    Das war schlau. Lulu nickte, knotete die Decke wie einen Umhang um die Schultern und wollte los. Doch Rafaela hielt sie zurück. »Prinz Dorvid sieht schrecklich aus, schrei bloß nicht!«, warnte sie. »Sein Gesicht ist rot und geschwollen und voller Pusteln. Manche haben eitrige Spitzen und sie nässen.«
    »Sinessen?«, fragte Lulu verständnislos.
    Rafaela nickte nur, stieg auf den Anbau, legte sich platt auf den Bauch und begann in windenden Bewegungen wie eine Schlange zu dem leicht geöffneten Dachfenster hinzukriechen.
    Lulu tat es ihr nach. Rauch wehte durch den Fensterspalt in die Nachtluft, Graviata verbrannte Zauberkräuter, die Mädchen erkannten den Geruch. Sie hielten sich die Decken vors Gesicht, um nicht niesen oder husten zu müssen.
    »Seid Ihr wirklich sicher, Hoheit, dass Ihr nichts anderes gegessen habt als das, was Ihr mir eben aufgezählt habt?«, hörten sie ihre Mutter fragen.
    »Ach, Graviata«, rief der Kronprinz weinerlich, »und wenn Ihr mich noch hundert Mal fragt, nein, nein und nochmals nein, ich habe nichts anderes gegessen. Und ja, ja und nochmals ja, ich habe Eure Anweisungen bis ins kleinste Detail gewissenhaft befolgt! – Wirkt die Salbe?«, fragte er dann zaghaft.
    »Haltet still, Hoheit, ich habe sie noch nicht ganz entfernt.« Man hörte sie hin und her gehen.
    »Nun«, ertönte Graviatas Stimme in einem Tonfall, den die Mädchen gut kannten. Sie benutzte ihn immer, wenn eines von ihnen krank war und sich ganz furchtbar fühlte. »Es ist durchaus ein wenig besser geworden. Mit etwas Geduld …«
    »Lasst mich in den Spiegel schauen!«, unterbrach sie der Prinz ohne Geduld.
    Rafaela berührte Lulu an der Schulter

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