Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
Wanda solle sich den Nachmittag freinehmen und ihren Töchtern den kürzesten Weg in die Stadt zeigen. Wanda wurde rot vor Freude, während Else ein verkniffenes Gesicht machte, denn nun würde die Nachmittagsarbeit an ihr alleine hängen bleiben.
»Du brauchst uns kein großes Abendessen zu kochen«, meinte Graviata, der die Verstimmung der Köchin aufgefallen war. »Eine Suppe genügt völlig.«
»Und wer putzt die Küche?«, fragte Else schnippisch. »Ich habe heute Morgen gebacken, Brot, Kuchen und Pasteten. Da war keine Zeit zum Saubermachen. Das Geschirr muss gespült, die Küche geputzt und die Höfe gekehrt werden.«
Graviata zwinkerte ihren Töchtern zu. »Vielleicht fällt euch ja eine Lösung ein«, sagte sie und ging mit Bumbum nach oben.
Natürlich wussten die beiden, worauf ihre Mutter angespielt hatte. Sie halfen beim Abräumen, setzten Else und Wanda in der Küche auf die Ofenbank, drückten jeder ein Glas Limonade in die Hand und befahlen ihnen, sich zu entspannen. Dann ließen sie die Helferlein auf Mehlstaub und Teigverklebungen, Kuchen- und Pastetenformen los, auf den verkrusteten Backofen, den verklebten Fußboden, das Geschirr, auf die Veranda und die hinteren Höfe.
Else und Wanda staunten tonlos und mit offenen Mündern. Else vergaß, dass sie ein Glas in der Hand hielt, es fiel auf den Boden und zerbrach. So schnell, wie man gar nicht schauen konnte, hatten die Helferlein die Scherben zusammengefegt und die Pfütze aufgewischt. Else zog hastig ihre Füße an, aus Angst, gebissen zu werden.
»Sie tun nichts. Man muss nur zusehen, dass man sie schnell wieder einsammelt, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig sind«, erklärte Lulu und steckte die kleinen Kerle in ihren Käfig. »Sie stänkern dann noch eine Weile herum, weil sie weiterarbeiten wollen, aber darauf muss man nicht hören.«
»Das ist das Verrückteste, was ich je gesehen habe«, stöhnte Else, erhob sich schwerfällig und prüfte mit dem Zeigefinger die Sauberkeit der Kücheneinrichtung. Sie hielt Gläser und Teller ins Licht und kroch auf allen vieren in die Ecke zwischen Herd und Wand. »Das ist das Verrückteste, was ich je gesehen habe«, murmelte sie, als sie nirgendwo einen Fleck oder ein Stäubchen fand.
»Wir lassen den Käfig hier«, sagte Rafaela und stellte ihn auf den Tisch. Die Helferlein trommelten wütend an die Gitterstäbe. »Bedient euch, wann immer ihr sie braucht. Gehen wir?«
Das war an Wanda gerichtet, die nickte stumm, griff ihr Umschlagtuch, und die drei Mädchen wandten sich zur Tür.
Else sank wieder auf die Ofenbank. »Das ist das Verrückteste, was ich je gesehen habe«, murmelte sie und starrte ratlos die wilden Kerlchen an.
»Sie hat noch nicht viel gesehen, die gute Else«, meinte Rafaela draußen und befestigte eine Leine am Halsband des Traurigen Ralf. Er war sehr aufgeregt, hatte seine Depression völlig abgelegt, als schien er zu ahnen, dass er seinen geliebten Herrn wiedersehen sollte. Sie verließen die Palastgärten durch die kleine Pforte in der Mauer, die Graviata ihnen tags zuvor gezeigt hatte. Sorgfältig schloss Wanda auf und hinter ihnen wieder zu. Lulu und Rafaela sagten ihr nicht, dass Graviata die Pforte mit einem Bann belegt hatte und die sich nun für alle Mitglieder ihres Haushaltes freiwillig öffnete, das hätte Wanda mit Sicherheit überfordert.
Sie verlor ja schon fast die Nerven vor Schreck, als sich draußen auf der Gasse eine Krähe im Tiefflug näherte, haarscharf über ihre Köpfen hinwegsegelte und sich dann Lulu auf die Schulter setzte.
»Oh, Corina!«, rief Lulu glücklich und liebkoste ihre schwarze Freundin.
Die Krähe neigte ihr Köpfchen, als wolle sie Lulu etwas mitteilen, und Lulu verstand sie sofort, ganz ohne Worte. Corina ging es gut. Sie und ihre Kumpane hatten sich im Gebälk eines alten Turms in der Nähe des Hauptmarktes einquartiert. Essen gab es dort reichlich. Überhaupt gab es in der Stadt Futter im Überfluss, sie brauchten es nur aufzupicken. Zwar hatte es schon ein paar Auseinandersetzungen mit alteingesessenen Krähenbanden gegeben, doch Corina und ihre Kumpane waren furchtlos und stürzten sich begeistert in jeden Kampf.
Lulu war stolz auf ihren Vogel. Wenn sie selbst ein Tier sein müsste, dann wollte sie eine Krähe sein, mutig, frech und frei.
»Können wir weiter?«, fragte Rafaela ungeduldig.
Lulu nickte, Corina blieb auf ihrer Schulter hocken.
»Komische Leute seid ihr«, sagte Wanda, als sie sich erholt hatte, »komische Leute.«
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