Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
die Ohnmächtigen. Sie heulten und weinten und ein oder zwei mussten sich übergeben. Draußen in den Fluren setzten sich die Schreie fort, vermischten sich mit den harschen Schritten und Stimmen der Palastwache.
Graviata war weiß wie die Wände des Zimmers.
»Geht!«, sagte sie zu den Kindern. »Geht nach Hause, ihr könnt mir hier nicht helfen.« Sie beugte sich über die Königin und strich ihr sanft übers Haar. Tausende von goldblonden Haaren klebten danach an ihren Händen. Die Kinder standen wie festgewachsen.
»Geht endlich!«, rief Graviata, »macht, dass ihr heimkommt!« Entsetzt sah Lulu, dass ihre Mama Tränen in den Augen hatte.
»Kommt«, sagte Rafaela. Sie nahm Bumbum hoch und wandte sich zur Tür, Lulu folgte. Sie mussten über einige ohnmächtige Frauen steigen, die Schweinefrau kauerte an der Wand und weinte hemmungslos. »Meine Königin«, schluchzte sie, »oh, meine Königin!«
An der Tür drehten sich die Kinder noch einmal um. Graviata hatte die Königin auf ihr Bett gelegt und sah zu ihnen hinüber. Sie machte eine Geste zum Hals, und die Kinder wussten, dass ihre Mutter sie an die Amulette erinnern wollte. Sie nickten. Es sollte für eine ziemlich lange Zeit das letzte Mal sein, dass sie ihre Mutter sahen. Doch das wussten sie noch nicht.
Sie hasteten durch all die Zimmer zurück, durch die sie eben gekommen waren. Ein fürchterliches Durcheinander herrschte überall. Die Palastwache stürzte vorbei, Mengen von Leuten rannten panisch herum. Niemand beachtete die drei Kinder. Sie wollten nur noch raus, rannten über die Galerie, die Treppe hinunter, durch die Halle, durch den Saal, fanden die Tür nicht schnell genug, stiegen durch ein Fenster auf die Veranda, rannten nach Hause.
Ihre drei Dienstboten standen vor der Tür und hielten nach ihnen Ausschau. Rafaela wollte erzählen, was geschehen war, doch die Dienstboten wussten es schon. Sie wussten sogar noch mehr. Angeblich sah auch der Kronprinz wie ein Monster aus. Als er seine Gemächer verlassen hatte, um seiner Mutter einen guten Morgen zu wünschen, seien alle Diener und Dienerinnen bei seinem Anblick schreiend davongestürzt. Er sei über und über mit Geschwüren bedeckt und aufgeschwollen wie ein Ballon. Nur der König war bis jetzt von der rätselhaften Krankheit verschont geblieben. Die war übrigens ganz plötzlich ausgebrochen. Am frühen Morgen waren Königin und Kronprinz noch munter und fidel gewesen. Und dann, innerhalb weniger Augenblicke, paff!, hatten sie sich in Monster verwandelt.
»Das geht nicht mit rechten Dingen zu«, sagte Wanda, »da ist Zauberei im Spiel. Hoffentlich hängt man das eurer Mama nicht an.«
»Das können sie nicht«, sagte Lulu schwach. »Warum sollte Mama die Königsfamilie verhexen? Sie sind ihre besten Kunden.«
»So ’n König fragt nicht nach Warum«, unkte Wanda düster. »Der will bloß ’nen Schuldigen.«
Manfredo nickte bedächtig. Else sank auf einen Stuhl und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Unsinn!«, rief Rafaela. »Mama kriegt das wieder hin. Sie hat den Kronprinzen schon einmal …« Hastig hielt sie sich den Mund zu. Doch die Gesichter der Dienstboten blieben gleichmütig. Wanda nickte nur. Offensichtlich hatte die Kunde von Prinz Dorvids erster Erkrankung schon vor Wochen die Runde gemacht. Es schien unmöglich, vor den Dienern und Dienerinnen des Palastes irgendetwas geheim zu halten.
»Gehen wir uns umziehen«, seufzte Rafaela.
Als Lulu ihr hässliches rosa Prachtkleid auf dem Boden liegen sah, bekam sie eine Art Nervenzusammenbruch. Sie griff sich eine Schere, stach auf das Kleid ein und schnitt und riss und biss und zerrte und trampelte darauf herum, bis sie völlig erschöpft war und das Kleid nur noch ein Haufen Fetzen. Bumbum und Rafaela standen in der Tür und sahen ihr dabei zu.
»Fertig?«, fragte Rafaela, als Lulu auf ihr Bett sank. »Wenn nicht, kannst du dir meins vornehmen und danach Bumbums Anzug.«
»Später«, meinte Lulu matt.
8. Kapitel
S ie gingen nach unten und warteten auf Graviata. Es wurde Mittag. Else servierte faserige Hühnchenbrust an verkohlten Kartoffeln. Die Kinder stocherten darin herum und zwangen ein paar Bissen hinunter, um Else nicht zu kränken. Die Mittagsstunde verging, sie warteten. Endlich hörten sie draußen jemanden rennen, die Haustür wurde aufgerissen, doch es war nicht Graviata. Damiano stürzte herein, völlig mit den Nerven fertig, völlig aufgelöst.
»Wo ist Mama?«, rief er. »Sie muss mir helfen!«
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