Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
zwinkerte den Mädchen verschwörerisch zu. Sie hatte ihnen erzählt, dass sie für ein Häuschen spare, in dem sie und Damiano und jetzt auch Ralf den Winter verbringen würden. Eine neue Bleibe war wirklich nötig. Lulu und Rafaela hatten die Hütte besucht, in der die drei hausten, ein windschiefer, baufälliger Schuppen am Stadtrand, in einer Siedlung von lauter ähnlich windschiefen, baufälligen Schuppen, die alle beim ersten Schneefall zusammenbrechen und ihre Bewohner unter sich begraben würden.
»Ich kann nicht verstehen«, sagte Lulu einmal zu Rafaela, »dass Mano sich so aufregt. Es ist doch in Ordnung, wenn Nanette von den reichen Idioten Geld geschenkt bekommt. Sie teilt es mit ihm. Soll er sich doch freuen darüber.«
Rafaela blieb stehen und sah sie kopfschüttelnd an. »Und ich kann nicht verstehen«, sagte sie, »dass jemand, der so viel weiß wie du, manchmal so blöd sein kann.«
Graviata sahen sie in dieser Zeit fast gar nicht, eigentlich nur morgens beim Frühstück, und manchmal war sie sogar dann schon im Palast. Lulu lag oft nachts wach und hörte sie unten im Labor rumoren. Einmal allerdings hörte sie Geräusche aus dem Labor, obwohl Graviata gar nicht da war. Sie kam erst morgens völlig übernächtigt aus dem Palast herübergehetzt. Lulu dachte, sie müsse doch eingeschlafen sein und die Geräusche geträumt haben.
Natürlich machten die Mädchen sich Sorgen um ihre Mutter, aber sie sprachen sie nicht darauf an, es wäre zwecklos gewesen. Sie versuchten auch nie wieder, durch die Dachfenster zu spionieren. Das eine Mal, wo sie es getan hatten, war ihnen immer noch in schrecklicher Erinnerung und sie hatten keine Lust auf eine Wiederholung. Stattdessen befreundeten sie sich näher mit Wanda, Else und Manfredo und hofften, durch sie an Informationen aus dem Palast zu kommen. Dienstboten klatschten gern und viel, Else jedoch war eine Enttäuschung. Sie kochte gut, aber sie erzählte wenig. Manfredo und Wanda hingegen nahmen kein Blatt vor den Mund. Sie liebten es, abends vor dem Herdfeuer zu sitzen, den Helferlein bei der Arbeit zuzusehen und vor Lulu und Rafaela mit ihren intimen Kenntnissen des Palastlebens anzugeben.
Die Mädchen erfuhren, dass die Auserwählte des Prinzen die Hochzeit verschoben hatte, angeblich, weil Prinz Dorvid ihr nicht schön genug sei. Kein Wunder, dass Graviata kaum noch aus dem Palast herauskam. Dann hieß es, die Königin sei krank, aus diesem Grund sei auch die Audienz der Kinder bei ihr verschoben worden. Die waren keineswegs traurig darüber, obwohl die Kleider längst fertig waren und in den Schränken hingen. Wenn es nach den Kindern gegangen wäre, hätten sie dort ewig hängen können.
Dann wurde die Audienz zum zweiten Mal verschoben, weil sich die Königin, laut Wanda, furchtbar aufgeregt hatte, so sehr, dass sie das Bett hüten musste. Der Grund dafür lag wieder bei der Verlobten des Prinzen. Sie war mit ihrem gesamten Clan in die Stadt gekommen, hatte sich dann aber geweigert, im Palast zu wohnen, und stattdessen ein kleines, abgelegenes Waldschlösschen bezogen. Das war eine ungeheure Brüskierung des Königshauses! Fast hätte man die Eheschließung abgesagt. Ganz sicher hätte man das getan, wenn man sie im ganzen Land nicht schon so groß angekündigt hätte und diese junge Frau nicht die Tochter der reichsten Familie im Land gewesen wäre. Könige brauchen immer Geld, Kronprinzen auch.
Die Dienstboten munkelten, die Königin habe sich sogar höchstpersönlich und tiefverschleiert aufgemacht, um ihre zukünftige Schwiegertochter zur Räson zu bringen. Auch der Prinz, so erzählte man sich, sei gesichtet worden, als er wie ein verliebter Kater um das Schlösschen herumstrich und um Einlass maunzte. Angeblich sei er erhört worden, ein Stallknecht hatte ihn morgens herauskommen sehen. Ungefähr um diese Zeit begann Else, versalzene Suppen, zerkochtes Gemüse und angebranntes Fleisch zu servieren.
Das Unglück schlug zu am Tag der Audienz. Es schlug zu mit Macht und an allen Fronten gleichzeitig.
Am Abend vorher war Graviata ausnahmsweise einmal zum Abendessen da gewesen. Man hatte geplant, gemeinsam noch einmal die Prozedur der Audienz durchzuspielen, um sicher zu sein, dass am nächsten Morgen nichts schiefging. Doch Graviata war zu müde gewesen. Noch nie hatten die Mädchen ihre Mutter so müde gesehen. Sie hatte kleine Fältchen um die Augen, und Lulu glaubte, im Licht der Lampen Silberfäden in ihrem schwarzen Haar aufblitzen zu
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