Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
sie, dass es genau so sein würde. Aber dann, als sie den Ausstieg erreicht hatten und hinaufgekrabbelt waren, empfing sie nichts als Kälte und Regen und tiefschwarze Nacht. Kein Mensch, kein Tier, kein Bumbum. Es war so finster, dass sie die Hand kaum vor Augen sehen konnten. Trotzdem lief Lulu noch zum Ende der Gasse, wo ein etwas hellerer Schein von einer breiten Straße kündete. Ein Gaslicht brannte in einiger Entfernung und beleuchtete ein paar Schritte Einsamkeit. Kein Mensch war zu sehen. Alle Türen und Fenster geschlossen. Die Expedition war so sinnlos gewesen wie ein Flüstern im Schneesturm.
Niedergeschlagen und schrecklich müde stolperten sie zurück zu ihrem Nachtquartier. In ihrer aller Köpfe glimmte schwach noch ein Fünkchen Hoffnung, dass alles gut sein würde, wenn sie ankämen, dass Bumbum gefunden und heil und gesund zurückgebracht worden wäre. Doch niemand sprach diese Hoffnung aus, und das war auch besser so, denn als sie ankamen, lag das Hippodrom genauso verlassen da wie vorher.
Lulu und Rafaela nahmen kaum noch wahr, wie Wanda sie durch einen zugigen, gepflasterten Korridor zu einer Kammer führte, die bis zur Decke mit Kram vollgestopft war. Auf einer zerschlissenen, staubigen Couch rollten sie sich ein und irgendein freundlicher Schicksalsgott ließ sie fast sofort einschlafen. Sie bekamen nicht mehr mit, wie Wanda sie beide mit einer alten Pferdecke zudeckte, das Gerümpel ein wenig beiseiteräumte und sich dann auf dem Boden selbst ein Lager bereitete.
10. Kapitel
W enn Lulu später an die Zeit im Hippodrom zurückdachte, lagen diese Tage wie unter einem dichten Nebel. Sie erinnerte sich nur an wenig. Sie wusste zum Beispiel nicht mehr, ob sie sich überhaupt je gewaschen hatten. Und doch mussten sie es getan haben, denn rückblickend sah sie sich selbst mit nassen Haaren und einem geliehenen Glitzertrikot im Hinterhof sitzen und auf Corina warten, während ihre Kleider auf der Wäscheleine schaukelten.
Nicht alle ihre Tiere waren eingesperrt. Corina hatte sich gleich am nächsten Morgen mit ihrer Bande eingefunden und ein Quartier in einer nahen Ruine bezogen. Es gab einige Ruinen in der Nähe des Hippodroms, viele davon waren noch bewohnt, die Gegend war nicht eben vornehm, niemand regte sich über einen Krähenschwarm mehr oder weniger auf. Natürlich hatten Corina und ihre Genossen sich gleich auf die Suche nach Bumbum gemacht, sie flogen die Stadt ab, spähten in jede Gasse und in jeden Hinterhof, in die vornehmen Parks der Adeligen und in die staubigen Gärtchen der Armen, doch Bumbum fanden sie nicht. Und Lulu saß da, sah in den Himmel und wartete. Wenn die Krähen zurückkamen, konnte sie schon an der Art, wie sie die Flügel hielten, erkennen, dass ihre Suche erfolglos verlaufen war. Die Flügel zeigten immer traurig nach unten.
Nur einmal nicht. Das lag aber nicht daran, dass die Krähen Bumbum gefunden hätten, sondern dass sie sich ganz furchtbar über einen anderen Vogel ärgerten, einen Falken, der hoch über dem Hippodrom schwebte und neugierig herunterspähte. Sie schrien und kreischten und lärmten und versuchten, zu ihm aufzusteigen und ihn wegzupicken. Es gelang ihnen tatsächlich, ihn zu vertreiben, entnervt flog er davon. Sie wollten ihm folgen, ihm eine ordentliche Lektion erteilen, doch mit den Flugkünsten eines Falken können selbst die kühnsten Krähen nicht mithalten.
Später kam der Falke zurück, am nächsten Tag vermutlich, Lulu hätte es nicht beschwören können, ihr Zeitgefühl war durcheinandergeraten. Wieder gelang es den Krähen, ihn zu verscheuchen. Lulu fand das schade, sie dachte, es wäre besser gewesen, den Falken als Verbündeten zu werben, denn Falkenaugen sind scharf. Doch das schien ganz unmöglich. Als Corina sich auf ihrer Schulter niederließ, fühlte Lulu erstaunt, wie sehr ihre Krähe diesen fremden Vogel hasste.
Andere Leute suchten auch nach Bumbum. Es waren ein paar abgerissen wirkende Gestalten, Männer, angestachelt von der Aussicht auf die Belohnung und angeführt vom Besitzer des Hippodroms. Der wurde »Fuchs« genannt, vermutlich weil er wie einer aussah oder auch weil er so schlau war, wie man es diesen Tieren nachsagt. Rafaela verhandelte mit ihm und war ihm nicht gewachsen. Fuchs verlangte insgesamt sechs Goldstücke pro Tag für Unterkunft und Verpflegung, Warnung vor der Stadtwache und die Suche nach Bumbum. Als Rafaela zu protestieren versuchte, schnitt er ihr das Wort ab mit der Bemerkung, so seien nun mal
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