Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
wieder einen Schlafplatz anboten.
»Sie hat dich erschreckt«, sagte Rafaela, »weil du mit den Nerven völlig fertig warst. Sie ist wunderlich und ein bisschen eklig, aber harmlos und ganz bestimmt keine Hexe.«
Rafaela sah selbst ein bisschen wunderlich aus in der schwarzen Schüleruniform, vor allem mit dem unpassend langen Lockenhaar. »Wenn ich rausgehe oder wenn jemand kommt, verstecke ich sie unter der Mütze«, erklärte sie und packte ihr Haar unter eine schwarze Ballonmütze. »Oh, meine Haare sind eine Katastrophe«, stöhnte sie. »Störrisch wie Stroh. Das kommt von dem Läusemittel. Wir haben uns alle Läuse geholt bei den Rattenkindern und mussten uns die Köpfe mit so einem brennenden, stinkenden Zeugs waschen. Deinen auch, obwohl du krank warst und eine Wunde am Kopf hast. Ellwin hat darauf bestanden. Er sagt, Läuse übertragen Krankheiten, und wenn man schon krank ist, machen sie alles noch schlimmer.«
»Ach so«, sagte Lulu. Damit war auch die Sache mit dem brennenden Kopf erklärt. Doch sie war Ellwin dankbar, dass er auf der Läusevernichtung bestanden hatte. Läuse waren ekelhaft.
Nach dem Frühstück musste Lulu auch eine Schüleruniform anziehen und war nach dem Urteil aller die Einzige, der sie wirklich stand.
»Das ist meine Tochter!«, rief Ellwin stolz. »Du wirst mal eine Gelehrte, das sieht man sofort!«
Lulu war ganz verlegen.
»Und was ist sonst noch so passiert, während ich geschlafen habe?«, fragte sie, um abzulenken. Jetzt waren die anderen verlegen, schauten sich an, drucksten herum.
»Churro hat mich gemalt!«, rief Rafaela endlich. »Warte, ich zeig’s dir!« Sie rannte aus der Küche und kam gleich mit ein paar zusammengerollten Papieren zurück. Sie entrollte das oberste und hielt es Lulu vor die Nase.
»Gut, was?«, fragte sie aufgeregt. Das Bild zeigte Rafaela in ihrer schwarzen Uniform mit wildem Lockenhaar, wie sie vor dem Kamin des Studierzimmers stand und auf ihre typische Rafaela-Art, halb hochmütig, halb verträumt aus dem Bild herausschaute. Es war gut, sehr gut sogar. Lulu war sprachlos.
»Hast wohl gedacht, ich wär bloß ein dicker, alter Angeber, der nichts Richtiges zustande bringt«, grinste Churro gutmütig.
Lulu schlug ertappt die Augen nieder. Etwas in dieser Art hatte sie wirklich gedacht. Rafaela zeigte ihr auch noch die anderen Bilder, ein Porträt von Damiano, das noch nicht fertig war, und eins von Evchen.
»Damit ich sie nicht vergesse«, sagte Churro traurig. »Ich glaube nicht, dass sie zu mir zurückkommt, oder doch?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Nicht so bald«, sagte Lulu bedauernd.
Ellwin räusperte sich. »Wir, äh, wir müssen dir noch was sagen«, begann er. »Etwas, äh, Unangenehmes.« Er sah bedrückt aus, alle sahen bedrückt aus. Lulu wurde ganz heiß, am liebsten wäre sie weggelaufen, sie wollte nichts Unangenehmes hören.
»Deine Krähe«, sagte Ellwin.
»Corina«, fiel Rafaela ein.
»Sie sind weg«, sagte Damiano. »Alle Krähen sind weg. Spurlos verschwunden.«
»Ach, das meint ihr!« Lulu war grenzenlos erleichtert. »Sie sind nicht weg, nicht richtig jedenfalls. Sie haben bloß den Falken fortgelockt, damit er die Soldaten nicht zu uns führen kann. Zurzeit«, sie schloss kurz die Augen, »fliegen sie gerade über ein waldiges Gebiet mit Bergen und Höhlen drin. Sie veranstalten einen Riesenlärm in der Luft. Der Falke beobachtet sie, und ich glaube, die Soldaten untersuchen gerade die Höhlen. Es sind viele Höhlen«, setzte sie befriedigt hinzu.
»Na so was!« Ellwin war verblüfft. »So ein raffiniertes Vogelvolk!«
»Wenn die Soldaten uns nicht finden, erschießen sie vielleicht aus lauter Wut den Falken«, äußerte Wanda hoffnungsvoll.
Später am Vormittag brachen die beiden Männer in Churros Wagen zur Stadt auf. Sie wollten Lebensmittel einkaufen und sich nach Neuigkeiten umhören. Die Kinder verbrachten den Tag mit Nichtstun. Lulu spielte mit Bumbum Häuschenbauen und langweilte sich, aber eigentlich fand sie ein wenig Langeweile nach all der Aufregung ganz in Ordnung. Rafaela maulte, weil es in Ellwins Haus zwar Trilliarden von Büchern gab, aber kein einziges, mit dem sie etwas anfangen konnte, kein einziges Sprechendes. Damiano erbarmte sich und las seinen Geschwistern und Wanda eine Geschichte vor. Sie war ziemlich spannend. Mutige Krieger kamen darin vor und ein tapferer Anführer, der von seiner treulosen Geliebten verraten wurde.
»Fast wie im richtigen Leben«, sagte Wanda, worauf Damiano
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