Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
verhext, um die Schuld Graviata in die Schuhe schieben zu können, und ich will verdammt sein, wenn ich nicht herauskriege, wo sie steckt!« Er hieb doch tatsächlich mit der Faust auf den Tisch. Lulu fuhr vor Schreck zusammen. »Entschuldige«, sagte Ellwin verlegen, »ich wollte dich nicht erschrecken. Komm, gib deinem alten Vater einen Gutenachtkuss und dann ab ins Bett!«
Lulu ging es wieder besser. Er hatte es geschafft, ihre Welt ein bisschen gerader zu rücken. Natürlich war Clarisse die Böse, nicht ihre Mama, es musste einfach so sein. Sie küsste ihn auf die Wange, da fiel ihr Blick auf die Papiere auf dem Tisch. Es waren seine Notizen über Anassia Bolin, die Braut des Prinzen. Er hatte ihren Namen immer wieder auf einen Zettel geschrieben, als wolle er ihn sich für den Rest seines Lebens einprägen.
»Sie ist es nicht«, sagte Lulu.
»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte er. »Ich wollte mir bloß alles noch mal durchlesen. Das Problem ist, wenn wir zum König gehen oder zur Hexenpolizei, um Graviata zu entlasten, dann müssen wir eine andere Schuldige präsentieren. Wir brauchen Clarisse!«
»Sie kann überall sein«, sagte Lulu. »Und sie kann ganz normal aussehen, so normal wie du und ich. Und sie muss auch nicht so aussehen wie auf dem Bild von Meister Milasius. Hexen können sich verändern.«
Ellwin saß kerzengerade da und starrte an ihr vorbei, er war ganz weit weg.
»Was ist, hast du einen Geist gesehen? Was ist los? Sag schon, hast du eine Idee?«
Er schüttelte den Kopf, nicht so sehr, um zu verneinen, eher um sich selbst aus seinen Gedanken zu schütteln.
»Sag schon«, drängte Lulu. »Du hast eine Idee. Dir ist eingefallen, wo Clarisse ist. Sag schon! Sag es!«
Er schüttelte wieder den Kopf und fuhr durch sein widerspenstiges Haar. »Nicht jetzt!« In seinen Augen lag immer noch dieser leicht abwesende Blick. »Vielleicht habe ich eine Idee, aber vielleicht ist sie nichts wert. Bevor ich darüber spreche, muss ich noch ein paar Nachforschungen anstellen. Es ist …«, er brach ab.
Lulu bettelte und drängelte, aber es war kein weiteres Wort aus ihm herauszubringen. Also ging sie ins Bett. Sie war ein bisschen verärgert. Schließlich war sie diejenige, die Sachen wusste, die andere nicht wussten, nicht Ellwin.
Am nächsten Morgen fuhren Ellwin und Churro schon in aller Frühe in die Stadt. Churro, um neue Farben und Lösungsmittel zu besorgen, Ellwin, um Nachforschungen wegen seiner geheimnisvollen Idee anzustellen. Auf dem Tisch lag ein Zettel, die Kinder sollten nicht auf sie warten, es könne länger dauern.
»Ich möchte wissen, warum alle in diesem Haus immerzu blöde Zettel schreiben«, maulte Rafaela. Jetzt, wo sie und Bumbum die Einzigen waren, die nicht lesen konnten, kam sie sich ausgeschlossen vor.
Lulu erwiderte nichts. Sie war überhaupt sehr schweigsam an diesem Morgen. Es wurmte sie, dass sie nicht wusste, was Ellwin wusste. Sie hatten beieinandergesessen und geredet und überlegt, als ihm etwas eingefallen war und ihr nicht. Das war nicht fair. Aber sosehr sie auch grübelte, sie kam nicht drauf. Die Stunden vergingen, es wurde Mittag. Rafaela sagte, dass Wanda und Damiano nachher zu der schrecklichen Alten gehen wollten, um ihr Essen und eine Decke zu bringen. Rafaela fand, die Alte sehe aus, als ob sie hundert Jahre in einem Dreckloch gelegen hätte. Da wusste Lulu es immer noch nicht.
Sie döste nach dem Mittagessen ein wenig auf ihrem Bett und erst da wusste sie es. Die Erkenntnis kam nicht plötzlich wie sonst, sie reifte langsam wie eine Frucht, eine dicke, giftige Frucht. Und als sie reif war, hielt es Lulu nicht mehr im Bett, sie tigerte durchs Zimmer, durchs Haus, raufte sich die Haare genau wie Ellwin in der Nacht zuvor. Und genau wie er wusste sie, dass sie Nachforschungen anstellen musste, ihre eigenen Nachforschungen. Keinen Augenblick länger konnte sie warten.
Draußen trafen Wanda und Damiano ihre Vorbereitungen für den Besuch bei der Alten. Damiano hatte Ralf angeleint, um ihn mitzunehmen. Der Arme brauchte dringend frische Luft. Sein Fell stank nach Churros Lösungsmittel, er war benommen von den Ausdünstungen, torkelte wie einer, der zu tief ins Glas geschaut hat.
»Wartet, ich komme mit!«, rief Lulu.
»Dann will ich auch mit!«, rief Rafaela.
»Bumbum!«, rief Bumbum. Als ob sie ihn je allein lassen würden.
15. Kapitel
D er Wind hatte sich gelegt, die Sonne schien, und obwohl es schon später Herbst war, hatte die Luft etwas Laues,
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