Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
herumgehen ließ.
»Nun, es handelt sich um eine Gruppe hoch interessierter Hobbyforscher«, erklärte Ellwin. Er stellte sie alle vor, wobei er die Namen der Mädchen so abwandelte, dass sie wie Jungennamen klangen.
»Euer Name ist tatsächlich Churro?«, fragte der alte Herr erstaunt.
»So ist es«, antwortete Churro würdevoll und verschlang gleich zwei Kringel auf einmal.
»Bumbum«, erklärte Bumbum mit vollem Mund. Sein Gesicht war bis zum Haaransatz mit Zucker beschmiert.
»Die Kringel schmecken sehr gut«, übersetzte Lulu.
»Ich werde das Kompliment an meine Frau weitergeben«, sagte Meister Milasius nur leicht irritiert. »Nun, wie ich aus Eurer Nachricht erfahren habe, Meister Ellwin, seid Ihr und Eure, äh, Schüler vorrangig an der Geschichte des Rosenhauses interessiert? Da habt Ihr Euch, wie ich mit aller Bescheidenheit sagen darf, keinen besseren Informanten als mich heraussuchen können. Tatsächlich habe ich selbst mannigfache Studien über dieses Thema angestellt und sogar einmal einen kleinen Beitrag in einem Reiseführer veröffentlicht.«
In diesem Stil ging es weiter. Er erzählte und erzählte, doch etwas wirklich Neues erfuhren sie nicht. Lulu döste vor sich hin und wachte schlagartig auf, als Meister Milasius ein paar Zeichnungen aus einer Mappe zog und diese herumgehen ließ. »Ich habe sie vor vielen Jahren nach Angaben meiner Schwiegermutter angefertigt«, erklärte er. »Clarisse war damals schon lange verschollen, der Turm eingestürzt, die Rosen verwelkt und ein Brand hatte die Reste des Hauses vernichtet. Meine Schwiegermutter war alt und hinfällig, als ich dies zeichnete, doch ihr Verstand war noch klar. Sie bescheinigte mir, dass ich das Haus und den Turm gut getroffen hätte. Nur mit meinem Porträt von Clarisse war sie nicht recht einverstanden, aber sie konnte mir nicht erklären, welchen Fehler ich gemacht hatte.«
Bilder vom Rosenhaus, Bilder von Clarisse, das war nun doch etwas Neues! Meister Milasius hatte Buntstifte benutzt, seine Zeichnungen wirkten ein wenig kindlich, die Perspektive und die Größenverhältnisse stimmten nicht. Lulu hatte genug Zeichnungen von Churro gesehen, um so etwas beurteilen zu können. Doch trotzdem bekamen sie zum ersten Mal einen Eindruck von der Pracht des Anwesens. Da stand das Haus – deutlich waren die sieben roten Fenster und die sieben ebenfalls roten Kamine zu erkennen – inmitten der sieben Felder, die nach außen spitz zuliefen wie die Winkel eines siebenstrahligen Sterns. Zwischen den blutroten Feldern zogen sich Wege dahin, einer davon führte zum Turm. Er war nicht rund, wie Lulu immer geglaubt hatte, sondern kantig. Seine Grundfläche war – wie könnte es anders sein – ein Siebeneck. Ganz oben war eine Aussichtsplattform mit einer Wetterfahne. Eine Rose prangte darauf.
Clarisse sah auf der Zeichnung aus wie eine ganz normale Frau mit braunem Haar, nicht sehr jung, aber auch nicht alt, nicht über die Maßen hübsch, aber auch nicht hässlich. Normal eben.
»Wenn ich nur wüsste, was ich bei dem Porträt falsch gemacht habe«, überlegte der alte Lehrer. »Ich habe es genau nach den Beschreibungen meiner Schwiegermutter angefertigt, tagelang haben wir zusammen daran gearbeitet. Sie sagte auch, dass alles stimmte, Nase, Mund, Augen, aber trotzdem war sie nicht zufrieden.«
»Es war der Ausdruck«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Erstaunt drehten sie sich um. Eine kleine, dicke alte Frau stand da und strahlte sie an.
»Meine Frau Mieka«, stellte Meister Milasius sie vor. »Sie wird nächsten Monat achtzig Jahre alt, aber sie kann immer noch schleichen wie ein junges Kätzchen.«
»Man verrät das Alter einer Dame nicht«, tadelte ihn seine Frau zärtlich. »Ich wollte euch nicht stören und war eben leise. Hast du unsere jungen Gäste gut versorgt? Hast du ihnen zu essen und zu trinken angeboten?«
»Bumbum«, erklärte Bumbum.
»Die Schmalzkringel schmeckten sehr gut«, übersetzte Meister Milasius.
»Die sind meine Spezialität«, lächelte Mieka geschmeichelt. Sie nahm Platz neben ihrem Mann, setzte eine Brille auf und besah sich das Porträt von Clarisse.
»Es war der Ausdruck«, wiederholte sie. »Auf diesem Bild wirkt sie so normal, fast unscheinbar. Meine Mutter aber sagte immer, Clarisse sei die stärkste Persönlichkeit gewesen, die ihr je begegnet war. Und das habe man sofort gemerkt, selbst wenn man sie nur ein einziges Mal gesehen habe.«
»Hat Eure Mutter Clarisse denn gut gekannt?«, fragte
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