Das Geheimnis des Scriptors
mich verdrießlich hinunter. In weiter Entfernung konnte ich ein paar Fischkutter ausmachen. Das Ufer wirkte ebenfalls viel zu weit weg. Wir befanden uns auf einer der belebtesten Schifffahrtsstraßen des Mare Internum an dem einzigen Nachmittag, an dem die Route nach Portus anscheinend leer war.
Über mir hörte ich die Ruderer auf ihre Bänke zurückkehren. Sie bekamen neue Befehle. Das Schiff nahm seinen Kurs wieder auf. Ich war so nahe an den Rudern, dass sie mich beim Senken und Heben nass spritzten. Irgendwas wurde mit dem Rahsegel gemacht. Ich klammerte mich verzweifelt fest, als wir uns nach einer langen Wende gegen die Strömung dem Meer zuwandten und die Küste noch weiter hinter uns ließen, nur um beim nächsten Manöver wie wild herumzuschaukeln. Die Ruderer arbeiteten schwer. Jedes Mal, wenn das Steuerruder zum Richtungswechsel herumschwang, wölbte sich die Leiter nach außen oder ließ mich gegen die Schiffswand knallen. Jedes Mal war es schwieriger, den Absturz zu vermeiden.
Es gelang mir, die unechte Toga loszuwerden. Ich zog mir den zerknautschten Kranz vom Kopf und ließ ihn fallen. Ein Seemann, der mich von der Reling aus beobachtete, gackerte vor Lachen. In den Augen der Besatzung mochte ich zwar immer noch ein Tölpel sein, aber ich fühlte mich besser.
Ich war am Leben. Solange ich mich hier festklammerte, gab es für mich noch eine Chance. Trotzdem war ich hilflos auf einer Strickleiter, nur wenige Zoll von den sich hebenden Rudern entfernt, auf einem von professionellen Entführern gesegelten Schiff, die wussten, dass ich hinter ihr Gewerbe gekommen war. Das Versprechen, mich an Land zurückzubringen, konnte ich vergessen. Ich wusste zu viel über ihre Aktivitäten und besaß nichts, was ich ihnen im Gegenzug anbieten konnte. Momentan mochten sie mich zwar ignorieren, aber ich war längst noch nicht in Sicherheit.
Ich war nach wie vor dabei, mir Auswege zu überlegen und zu verwerfen, als eine neue Katastrophe eintrat. Die Mannschaft über mir war an Deck beschäftigt. Der Steuermann ging immer noch hin und her und inspizierte den Schiffsrumpf. Gelegentlich sah ich seinen Kopf, wenn er über die Bordwand schaute. Cotys war verschwunden.
Cotys musste sich der gestohlenen Geldkiste gewidmet haben. Ich hörte ein Brüllen, einen Schrei äußerster Wut. Auf dem Deck brach Tumult aus. Die Ruderer stellten ihre Arbeit ein und hatten anscheinend ihre Bänke verlassen. Die Ruder hingen ungenutzt herab. Das Schiff schwankte und verlor an Fahrt.
»Die Kiste ist voller Steine!«
Jetzt beugte sich Cotys brüllend über die Reling zu mir. In der einen Hand hielt er eine große Goldmünze, in der anderen waren Kieselsteine, die er auf mich hinunterschleuderte. Ich duckte mich. Einer oder zwei erwischten mich. Seeleute drängten sich an der Reling. Die Besatzung musste an diesem Nachmittag aus über vierzig bestehen, und die meisten hatten ihren Posten verlassen, um mich fertig zu machen.
»Du warst das! Du hast mich betrogen!«
»Ich hatte nichts damit zu tun!«
Zwecklos. Cotys wollte einen Schuldigen.
»Anacrites!«, grölte ich Cotys zu. Das war typisch für den Oberspion und seine Angestellten – selbst in Anacrites’ Abwesenheit hatte sein Kassierer automatisch eine Schieberei begangen. Mitwisser oder nicht, Holconius und Mutatus waren Teil eines klassischen Gaunerstücks geworden. Die Lösegeldkiste musste Münzen als oberste Lage enthalten haben, um echt zu wirken, war aber hauptsächlich mit Steinen gefüllt. Diese Gaunerei ging meistens schief, da die Kriminellen gescheit genug waren, das Lösegeld gründlich zu überprüfen. Doch wenn eine Gruppe von Piraten einer anderen die Beute in Eile abjagte, war es möglich, dass sie diese Vorsicht hatten fallenlassen.
»Cotys, das Geld wurde vom Büro des Oberspions zur Verfügung gestellt. Der Mann spielt jedem übel mit …«
Cotys hatte keine Ahnung, wer Anacrites war. »Du warst das!«, brüllte er. »Das ist dein Ende, Falco!«
Die Mannschaft verfluchte mich aufs übelste. Jemand schwang einen Bootshaken, konnte mich aber nicht erreichen, weil ich zu weit unten war. Cotys verschwand erneut für einen Moment – und kam dann mit einer Axt zurück. Er war so wütend, dass er bereit war, eine gute Leiter zu opfern, nur um mich loszuwerden. Er hieb auf die Leiter ein. Wie jeder gute Seemann wusste er, wie man ein Tau in einer Krise kappt. Das eine Tau gab nach. Als ich zur Seite schwang und gegen die Schiffswand prallte, brüllte ich
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