Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
der Stege drückten. Die Luft schmeckte nach Salz und Abenteuer und die hektische laute Stadt schien meilenweit entfernt zu sein.
Nik setzte sich auf einen Poller, um den dicke Schiffstaue geschlungen waren. »Damit fahre ich eines Tages bis nach Indien.« Nik deutete auf die Handelskaracke. Von dem Rumpf der Matthew ragten drei Masten in den Himmel. Sie segelte unter der Flagge der englischen Krone.
»Ich werde Heilkräuter finden und mit Chirurgen sprechen, die schwarze Beulen und Fieber behandeln können. Dann komme ich zurück und werde der berühmteste Wundarzt von Amsterdam.«
Benthe lächelte. »Ja, das wirst du. Ich habe keinen Zweifel daran.«
»Wirst du mitkommen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wenn ich auf das Meer hinausfahre, werde ich in einen Nebel geraten und mich auflösen.«
Nik lachte Benthe nicht aus. Er hatte diese Antwort in den letzten Jahren immer wieder gehört. Jedes Mal, wenn ihr Vater zwischen seinen Seefahrten zu Hause war, musste er seiner Tochter versprechen, mit seinem Schiff nicht in einen Nebel zu segeln. Mit fünf Jahren war Benthe fest davon überzeugt gewesen, diese Vorsichtsmaßnahme würde genügen, um ihren Vater nach wenigen Monaten unversehrt wieder in die Arme schließen zu können.
Im Frühling hatte sie ihren 13. Geburtstag gefeiert und sie wusste längst von gefährlichen Riffen, fremden Schiffen mit Kaperbriefen und den tödlichen Krankheiten an Bord. Trotzdem war es noch immer das Bild des Nebels, das für sie das Risiko und die Gefahr der Reisen beschrieb.
Ein Arbeiter kam vorbei. Er trug einen Sack auf der Schulterund eilte zu einem der offenen Boote, die durch die engen Grachten gesteuert wurden, um die Waren in die Lagerhäuser der Händler zu verteilen.
Nik stand auf und drehte sich zu ihm um. »Wisst Ihr, welches Schiff gestern aus England angekommen ist?«
Der Mann stieß ihm den Ellenbogen in die Seite, ohne ihn weiter zu beachten. Nik hielt sich die Rippen und taumelte zurück. Benthe konnte ihn gerade noch am Arm festhalten und verhinderte so einen Sturz in das brackige Hafenwasser.
Nik schüttelte den Kopf und starrte dem Mann mit finsterem Blick hinterher. Dann hob er resigniert die Schultern. »Hier werden wir keine Antworten finden.«
Langsam gingen sie auf die Lagerhäuser am Ufer zu, während Nik sich die schmerzende Seite hielt.
»Deine Mutter wird wütend, wenn ich bis zum Mittag die Betten nicht gemacht habe«, stellte Benthe leise fest.
»Du musst nicht mitkommen, wenn es dich nicht interessiert, was für gefährliche Handwerker nach Amsterdam gekommen sind. Wenn du dir wirklich Sorgen machen würdest, wäre dir die Arbeit im Haus nicht wichtig.« Nik trat missmutig gegen einen Stein.
Sie schüttelte den Kopf. »Ist mir nur gerade eingefallen. Du brauchst ja nicht gleich wütend zu werden. Ich hatte meiner Mutter versprochen, ihr heute wieder zu helfen. Aber wenn wir hier etwas über die Männer erfahren können, ist das natürlich wichtiger …«
Nik biss sich auf die Unterlippe. In den letzten Wochen und Monaten hatte es niemanden gegeben, den er für den Tod seiner Brüder verantwortlich machen konnte. Es gab keinen Hinweis darauf, warum sie krank geworden waren und wie man es hätte verhindern oder aufhalten können. Sie waren tot und seine Eltern seitdem oft abwesend und nicht ansprechbar. Das Haus, in dem es zeit seines Lebens lustig und turbulent zugegangen war, hatte seine Behaglichkeit verloren. Besucher waren ein und aus gegangen und hatten die Räume mit ihren bunten Gewändern, der wundersamen Musik und den fremdländischen Speisen zu einem märchenhaften Zuhause gemacht. All das war verschwunden. Nichts war mehr so wie früher. Aber nun tat sich endlich eine Spur auf, und weil er sie nicht weiterverfolgen konnte, hatte er es an Benthe ausgelassen. Sie war schließlich da. Sie war immer da.
»Du hast recht. Wir sollten gehen. Hier erfahren wir nichts.« Er lächelte ihr versöhnlich zu. »Aber vielleicht sind diese Männer für den Tod von vielen Menschen verantwortlich. Wir müssen herausfinden, was es mit ihren Forschungen auf sich hat.«
»Zumindest einer ist absichtlich getötet worden. Ein Messer im Rücken ist kein Versehen«, stellte Benthe fest. Sie schob ihren Arm unter seinen und zog ihn weiter durch das Hafengelände auf die Gassen von Amsterdam zu.
Es wurde immer lauter, je näher sie den Lagerhäusern kamen. Wagen fuhren an ihnen vorbei und die Pferde schnaubten unter dem Gewicht der Ballen und Säcke. Die
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