Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
ihnen immer wieder verboten, doch wenn sie wie Könige die Treppe hinunterstolzierten, konnte ihnen niemand böse sein. Nicht einmal Mutter brachte mehr als einen verhaltenen Tadel heraus, wenn sie strahlend vor ihr posierten.
Vater hatte am Tag vor ihrem Tod Stoff aus England erhalten, der glänzender war als alles, was Nik und seine Brüder zuvor gesehen hatten. Winzige Sterne waren hineingewebt und ließen ihn wie einen Sternenhimmel funkeln. Matthijs und Claas hatten sich die Tücher mit Wonne über die Schultern geworfen. Am Abend hatten sie Fieber und Beulen bekommen.
Wenn Gustav recht hatte, brachten die Tücher von Flambert Unglück. Eigentlich glaubte Nik nicht an Glücksbringer und Schutzzauber, aber alles war besser als die Unsicherheit, die an ihm nagte und ihm die Luft zum Atmen nahm. Endlich hatte er etwas gefunden, was die Ursache für den Tod seiner Brüder sein könnte – und vielleicht war das Tuch seines Vaters ja auch von diesem Flambert gewesen, den der Hausherr in seinem Keller erwähnt hatte. Dieser Gustav sah anscheinend einen Zusammenhang zwischen dem Treiben der Handwerker und den Unglücken, die um sie herum passierten. Der andere, Heinrich, wollte das nicht einmal in Erwägung ziehen. Doch wenn Gustav recht hatte, musste es für Nik eine Möglichkeit geben, das zu beweisen. So könnten die bestraft werden, die für den Tod seiner Brüder verantwortlich waren, und die Menschen von Amsterdam wären vor der Gilde gewarnt. Zunächst musste Nik aber herausfinden, ob sein Vater die Tücher mit den Sternen in London bei einem Mann namens Flambert gekauft hatte.
»Wo seid ihr gewesen?« Die Stimme seiner Mutter klang schrill durch die verlassene Straße.
Als Benthe und Nik endlich zu Hause ankamen, war es dunkle Nacht.
»Hattet ihr wieder Ärger mit Luuk?«, wollte Helena van Leeuwenhoek wissen und zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Nein.« Nik schüttelte den Kopf. »Doch. Luuk war auch da. Er ist der Grund, warum es länger gedauert hat. Wegen ihm haben wir den Mann aus der Gilde verloren.«
»Was redest du denn?« Sie strich sich fahrig das Haar aus dem Gesicht, das sich aus der sonst so sorgfältig gesteckten Frisur gelöst hatte. Seit Kurzem zogen sich weiße Strähnen durch ihren dicken schwarzen Zopf, sie war dünner geworden und ihre Haut blasser. Dadurch sah sie fast zerbrechlich aus und die Suche nach der Gilde schien Nik auf einmal dringender als je zuvor.
»Du sollst dich nicht auf der Straße mit Handwerkern prügeln.« Ihre Lippen zitterten. »Ich brauche dich hier.« Sie drehte sich um und ging in die Stube. Nik folgte ihr.
»Ich habe mich nicht geprügelt. Ehrlich«, versicherte er.
Sie drehte sich um und sah ihn traurig an. Nik hätte alles gegeben, um diese Traurigkeit von ihr zu nehmen. Sollte er seinen Eltern anvertrauen, was er bislang herausgefunden hatte? Sein Vater saß seit Monaten in seinem Sessel am Fenster und schien sie nicht zu hören oder zu sehen. Dann spürte Nik, wie Benthe an seine Seite trat, und war dankbar für ihre Nähe. Langsam wandte er den Blick von seinem Vater ab. »Ich wollte es dir gestern schon erzählen.« Nik atmete tief ein und sah seine Mutter an. »Gestern habe ich mich vor Luuk in einem Keller versteckt. Dort habe ich drei Männer belauscht, die über einen Mann gesprochen haben, der gestorben ist. Er hatte auch Tücher gekauft …«
Nik suchte nach den richtigen Worten. Er wollte sie nicht noch trauriger machen. »Die Männer in dem Keller haben von ihren Kunstwerken gesprochen. Sie müssen wunderschön sein und sollen Unglück bringen. Es ist eine Gilde. Sie sprachen von Tüchern, Spiegeln und Glas …«
Seine Mutter runzelte die Stirn.
»Matthijs und Claas haben sich doch auch in Tücher gehüllt, bevor sie gestorben sind, und …«
Helena schnappte nach Luft. »Bitte, Nik, lass es sein … Es ist schwer genug, einen Tag nach dem anderen ohne sie zu überstehen.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauchen und trotzdem klangen ihre Worte laut durch den Raum und schienen ihn ganz zu erfüllen. Nik war blass geworden und seine Knie zitterten.
»Ich wollte nur helfen«, flüsterte er traurig. Er spürte Benthes Hand auf seinem Rücken. »Ich dachte, Vater weiß, von wem er damals die Tücher …«
Seine Mutter brach in Tränen aus. Sie hob den Arm und deutete auf seinen Vater. Ihre Lippen zitterten. Sie sagte nichts. Die Tränen liefen über ihr Gesicht und sie schluchzte fast lautlos. Nik trat auf sie zu, um sie zu
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