Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
sein Vater da sagte, wahr sein? Würde es seinem Vater wirklich helfen, wenn er eine Glaskugel mit dem Bild der geliebten Söhne in den Händen hielt?
Jan van Leeuwenhoek räusperte sich. »Ich werde mich nach dem Schriftsteller erkundigen und du suchst in London nach dem Glaser. Du wolltest doch immer auf das Meer hinaus. Habe ich dir schon mal von meiner ersten Fahrt auf dem Meer erzählt?«
Nik schüttelte den Kopf.
Sein Vater setzte sich auf die Bettkante und deutete auf den Platz neben sich. Nik ließ sich neben ihn auf die Matratze fallen. Er saß nur eine Handbreit von seinem Vater entfernt. Die Falten in dessen Gesicht waren tiefer geworden und wie bei seiner Mutter hingen Hemd und Jacke unförmig über den eingefallenen Schultern. Unter seinen Augen befanden sich tiefe schwarze Schatten, die schlaflose Nächte und unruhige Träume verrieten.
»Ich war ein wenig jünger als du, Nicolaas. An meinem 13. Geburtstag nahm mich mein Vater mit zum Hafen …«
Nik lauschte den Worten seines Vaters und den Geschichten über Abenteuerlust, fremde Sprachen und unbekannte Gewürze, die sie eingekauft hatten. Doch am meisten bewegte ihn der erste Satz seines Vaters. Er hatte ihm in die Augen gesehen und ihn mit seinem Namen angesprochen.
Ihm war nicht bewusst gewesen, wie sehr ihm das gefehlt hatte. Er fühlte sich nicht mehr allein mit seiner Trauer um seine Brüder. Sein Vater saß neben ihm und berührte ihn kurz an der Schulter oder benutzte seine Arme, um Segel zu reffen und Säcke zu schultern, von denen er erzählte. Er wirkte so lebendig wie früher und seine Wangen bekamen mit jeder hitzigen Geschichte mehr Farbe, bis sie schließlich rot leuchteten.
Als sein Vater später das Zimmer verließ, legte Nik die Bücher zurück in die Truhe. Sie würden ihn an diesen Abend erinnern, an dem er wieder etwas von der alten Fröhlichkeit seines Vaters entdeckt hatte. Dann trat er mit dem Fuß gegen den Deckel der Truhe und begann wieder, im Zimmer auf und ab zu gehen. Mit den alten Geschichten hatte ihn sein Vater in eine fremde Welt hineingezogen und die Abenteuerlust und das Fernweh waren in ihm aufgelodert. Trotzdem musste er einen klaren Kopf behalten und noch einmal alle Möglichkeiten durchdenken. Es musste einen Weg geben, wie er bei seinem Vater einen Aufschub aushandeln konnte, bis er mit Benthe etwas über die Machenschaften der Gilde herausgefunden hatte.
Luuk drängelte sich zum Tresen hindurch und klopfte mit den Münzen so lange auf den Schanktisch, bis der Wirt zu ihm herüberkam. Er bestellte drei Bier und schob sich mit den Krügen durch das Gedränge. Die Schenke war voll mit Männern und Frauen, die zwischen den Stühlen und der Theke standen und miteinander plauderten und lachten.
In der Ecke neben dem Kamin warteten Jost und Thijs bereits darauf, dass er sich mit dem Nachschub wieder zu ihnen setzte. Sie johlten, als er die Getränke abstellte und zwischen ihnen Platz nahm. Ein Mädchen, das etwas älter war als die Jungen, beugte sich über den Tisch und sprach mit Luuks Freunden. Sie lachte zu laut und ihr Mieder war locker geschnürt. Die jungen Männer beugten sich vor, um tief in den Ausschnitt des Mädchens blicken zu können.
Verärgert ließ Luuk seinen Krug auf den Tisch krachen. Das Bier schwappte über den Rand und die Jungen fuhren lachend auf ihren Hockern zurück.
Mit einer Geste verscheuchte er das Mädchen, das ihn mit den Augen wütend anfunkelte und dann zu einem anderen Tisch schlenderte. Schon zu oft hatte er seinen Vater mit einem seligen Lächeln und leerem Geldbeutel aus den Armen dieser Mädchen gezogen. Wenn die Schenken geschlossen wurden, blieben nur die maßlosen Trunkenbolde auf den Bänken zurück, die mit den Töchtern des Wirts zu viel Rum getrunken hatten.
»Hast du Nicolaas heute gesehen?«, fragte Jost und riss ihn aus seinen düsteren Gedanken.
»Nein.« Luuk lachte. »Der ist durch ganz Amsterdam gelaufen und wahrscheinlich noch nicht wieder zu Hause angekommen.«
»So schnell ist er noch nie gerannt«, bestätigte Jost und setzte seinen Krug an die Lippen. Er ließ Schluck um Schluck in seinen Hals laufen.
»Der hat sich bestimmt in die Hosen geschissen, als du mit dem Stein nach ihm geworfen hast.« Thijs setzte prustend zum Trinken an und zwinkerte Jost zu. Die beiden lachten.
Luuk runzelte die Stirn.
Er wollte nicht mehr über die Verfolgung reden. Sie hatten den Goldjungen verloren, der nur das Geld zählte und sich niemals die Hände schmutzig
Weitere Kostenlose Bücher