Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
machte. Jungen wie Nicolaas fiel alles in den Schoß, und er würde genauso ein hochnäsiger Schmarotzer werden wie all die anderen Pfeffersäcke, die in den Werften ihre Schiffe bestellten und damit das Schicksal vieler Menschen bestimmten. Leute wie Nik und sein Vater waren schuld an seinem zerplatzten Traum von Fleuten, Galeonen und Fregatten, die in allen Meeren der Welt zu Hause waren. Stattdessen baute er nun kleine Langboote, die nur durch die Grachten Amsterdams paddelten und nicht über die Amstel hinauskamen. Es war zwar nicht Jan van Leeuwenhoek gewesen, der für das Ende der großen Schiffe in der Werft seines Vaters gesorgt hatte, aber die Händler waren doch alle vom gleichen Schlag.
Luuk kippte das Bier hinunter. Es schmeckte bitter.
Das Mädchen trat wieder an den Tisch und beugte sich zu ihnen herunter. Dabei legte sie eine Hand an den Mund, als hätte sie ein Geheimnis zu verkünden. »Die Stadtwache hat genug von den Straßenschlachten in der Nähe des Hafens. Gestern haben sie einem die Hand abgehackt, weil er mit Steinen auf die Wachleute geworfen hat.« Sie lachte und verschwand wieder in der Menge.
Jost wieherte vor Vergnügen und schlug sich auf die Oberschenkel. Thijs hob lachend den Bierkrug und prostete ihm zu.
Luuk stellte den Krug ab, ohne zu trinken. Er starrte auf seine Hände. Sie waren schmaler als die seines Vaters, doch von dem groben Holz hatte er die gleichen Schwielen an den Handflächen. Er brauchte seine Hände, um das Holz zu tragen, zu sägen und zu hobeln. Durch eine kindische Streiterei hatte er gestern seine Hand riskiert und bei dem Gedanken wurde ihm ganz übel.
Am Nachbartisch entbrannte ein Streit. Die Männer sprangen fluchend von ihren Hockern auf und hoben drohend die Fäuste. Luuk sah zu ihnen hinüber und entdeckte einen weißhaarigen Mann, der an der Theke lehnte und ihm direkt ins Gesicht sah. Die streitenden Männer beruhigten sich schnell, als die Tochter des Wirts einen Krug Branntwein auf den Tisch stellte. Luuk sah noch einmal zur Theke. Der Mann musterte ihn noch immer.
Luuk drehte sich zu Jost um und stieß ihn an. Doch der reagierte nicht, weil Thijs den Tumult genutzt hatte, um heimlich gefüllte Becher von der Theke zu holen, die er soeben mit einem stolzen Lächeln auf dem Tisch abstellte. Dem Geruch nach zu urteilen, befand sich Schnaps in den Gläsern. Jost schlug ihm anerkennend auf die Schulter und griff zu.
Luuk lehnte sich zurück. Er trank niemals etwas Stärkeres als Bier. Der Schnaps, den er im Atem seines Vaters roch, war ihm in jeder Nacht eine Warnung. Außerdem konnte auch Diebstahl zum Verlust einer Hand führen. Jost rief ihm etwas zu, doch Luuk verstand kein Wort.
Er drehte sich von den Freunden weg und sah sich um. Der Mann an der Theke war verschwunden. Luuk fühlte sich eigenartig erleichtert und wusste nicht, warum.
Jost rief das Mädchen zurück und hob triumphierend den Becher in die Luft. Er setzte den Krug an, den Luuk unberührt vor sich hatte stehen lassen, und trank ihn in einem Zug leer. Dann kippte er vornüber mit dem Kopf auf die Tischplatte. Die anderen lachten und klatschten grölend in die Hände.
Seufzend erhob sich Luuk von seinem Hocker und zog seinen Freund hoch. Das Mädchen kam wieder zu ihnen und schlang die Arme um Josts Hals. Luuk war zu überrascht, um sofort zu reagieren. Sein Freund schlug die Augen auf und versuchte, dem Mädchen einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Sie wich kichernd einen Schritt zurück und fuhr dann neckisch mit den Fingern unter sein Hemd. Jost schwankte und Luuk griff nach seinem Arm. Die Männer, die an den anderen Tischen saßen und ihnen zusahen, feuerten Jost mit zotigen Bemerkungen an, aber der konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und sackte gegen Luuks Schulter. Nachdem ihm erneut die Augen zugefallen waren, zog sich das Mädchen von ihm zurück und strich Luuk mit ihren Fingern den Rücken hinauf und hinab. Ein angenehmer Schauer folgte auf ihre Berührung, doch Luuk schüttelte ihre Hand ab und steuerte mit Jost auf den Ausgang zu. Als er ihn bis zur Tür gewuchtet hatte, drehte er sich noch einmal zu den anderen um. Das Mädchen war zurück an ihren Tisch getreten, sie hatte ihr Mieder noch weiter geöffnet und setzte sich kichernd auf den frei gewordenen Hocker neben Thijs.
Mit dem Fuß stieß Luuk die Tür auf und trat in die Nacht hinaus.
Es war ein milder Septemberabend und ein warmer Wind trieb den Gestank der Stadt über den Fluss auf das Meer
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